Gottfried August Bürger

Abendphantasie eines Liebenden (Gottfried August Bürger)

   

In weiche Ruh hinabgesunken,

Unaufgestört von Harm und Not,

Vom süßen Labebecher trunken,

Den ihr der Gott des Schlummers bot,

Noch sanft umhallt vom Abendliede

Der Nachtigall, im Flötenton,

Schläft meine Herzens-Adonide

Nun ihr behäglich Schläfchen schon.

Wohlauf, mein liebender Gedanke,

Wohlauf zu ihrem Lager hin!

Umwebe, gleich der Efeuranke,

Die engelholde Schläferin!

Geneuß der übersüßen Fülle

Vollkommner Erdenseligkeit,

Wovon zu kosten noch ihr Wille,

Und ewig ach! vielleicht, verbeut! -

Ahi! Was hör ich? - Das Gesäusel

Von ihres Schlummers Odemzug!

So leise wallt durch das Gekräusel

Des jungen Laubes, Zephyrs Flug.

Darunter mischt sich ein Gestöhne,

Das Wollust ihr vom Busen löst,

Wie Bienensang und Schilfgetöne,

Wann Abendwind dazwischen bläst.

O, wie so schön dahin gegossen,

Umleuchtet sie des Mondes Licht!

Die Blumen der Gesundheit sprossen

Auf ihrem wonnigen Gesicht.

Ihr Lenzgeruch wallt mir entgegen,

Süß, wie bei stiller Abendluft,

Nach einem milden Sprüheregen,

Der Moschushyazinthe Duft.

Nun kehre wieder! Nun entwanke

Dem Wonnebett! Du hast genug!

Sonst wirst du trunken, mein Gedanke,

Sonst lähmt der Taumel deinen Flug.

Du loderst auf in Durstesflammen! -

Ha! wirf ins Meer der Wonne dich!

Schlagt, Wellen, über mir zusammen!

Ich brenne! brenne! kühlet mich!

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3-15-000228-1
Erschienen im Buch "Gedichte"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.