In Duft und Reif (Gottfried Keller)
Im Herbst verblichen liegt das Land,
Und durch die grauen Nebel bricht
Ein blasser Strahl vom Waldesrand,
Den Mond doch selber sieht man nicht.
Doch schau! Der Reif wird Blütenstaub,
Ein Lorbeerhain der Tannenwald,
Das falbe, halb erstorbne Laub
Wie bunte Blumenwegen wallt!
Ist es ein Traumbild, das mir lacht?
Ist's Frühlingstraum vom neuen Jahr?
Die Freiheit wandelt durch die Nacht
Mit wallend aufgelöstem Haar!
Und wandelnd späht sie rings und lauscht,
Die bleiche, hohe Königin,
Und ihre Purpurschleppe rauscht
Leis über dunkle Gräber hin.
Sie hat gar eine reiche Saat
Verborgen in der Erde Schoss;
Sie forscht, ob die und jene Tat
Nicht schon in grüne Halme spross.
Es ist auf Erden keine Stadt,
Es ist kein Dorf, des stille Hut
Nicht einen alten Kirchhof hat,
Darin ein FreiheitsMärt'rer ruht.