Gottfried Keller

In fremden Landen (Gottfried Keller)

An des Heimatflusses Borden,

Wo die Linden überhangen,

Bin ich manches Mal gegangen,

Wenn die Erde jung geworden

Und den Frühlingsmantel wob,

Wenn die Wasser voller klangen

Und bis vor die Füsse drangen,

Dass der Pfad sich schwellend hob.

Wenn die Welle singend flieht,

Ist's, als höre man Geschichten,

Was im Oberland geschieht,

Weit ins Niederland berichten;

Und so man stromaufwärts sieht,

Will es scheinen, dass das ganze

Innre Land im Firnenglanze

Auf der Flut herunter zieht.

Ausgespannte Netze schimmern

Zwischen blütenweissen Bäumen,

Perlend in der Sonne flimmern

Sie von feuchten Wasserschäumen;

Und ein Knäblein schläft im Kahn,

Schaukelnd sich in jungen Träumen;

Ohne Hast und ohne Säumen

Schafft der Vater nebenan.

Hier, an diesem fremden Strand,

Wachsen Weine stark und süss,

Und es gleicht das üppige Land

Wohl auch einem Paradies;

Aber dumpf und ungewiss

Sind die Herzen und die Blicke,

Und verworrene Geschicke

Walten in der Finsternis.