Fels-Weihegesang (An Psyche) (Johann Wolfgang von Goethe)
(An Psyche)
Veilchen bring ich getragen
Junge Blüten zu dir,
Daß ich dein moosig Haupt
Ringsum bekränze,
Ringsum dich weihe,
Felsen des Tals.
Sei du mir heilig.
Sei den Geliebten
Lieber als andre
Felsen des Tals.
Ich sah von dir
Der Freunde Seligkeit,
Verbunden Edle
Mit ewgem Band.
Ich irrer Wandrer
Fühlt erst auf dir
Besitztums-Freuden
Und Heimats-Glück.
Da, wo wir lieben,
Ist Vaterland;
Wo wir genießen,
Ist Hof und Haus.
Schrieb meinen Namen
An deine Stirn;
Du bist mir eigen,
Mir Ruhe-Sitz.
Sei du mir heilig,
Sei den Geliebten
Lieber als andre
Felsen des Tals.
Ich sehe sie versammelt
Dort unten um den Teich;
Sie tanzen einen Reigen
Im Sommerabendrot.
Und warme Jugendfreude
Webt in dem Abendrot,
Sie drücken sich die Hände
Und glühn einander an.
Und aus den Reihn verlieret
Sich Psyche zwischen Felsen
Und Sträuchen weg, und trauernd
Um den Abwesenden
Lehnt sie sich über den Fels.
Wo meine Brust hier ruht,
An das Moos mit innigem
Liebesgefühl sich
Atmend drängt,
Ruhst du vielleicht dann, Psyche.
Trübe blickt dein Aug
In den Bach hinab,
Und eine Träne quillt
Vorbeigequollnen Freuden nach;
Hebst dann zum Himmel
Dein bittend Aug,
Erblickst über dir
Da meinen Namen.
Auch der
Nimm des verlebten Tages Zier,
Die bald welke Rose, von deinem Busen,
Streu die freundlichen Blätter
Übers düstre Moos,
Ein Opfer der Zukunft.