Johann Heinrich Voss

Der siebzigste Geburtstag (Johann Heinrich Voss)

An Bodmer

               

Bei der Postille beschlich den alten christlichen Walter

Sanft der Mittagsschlummer in seinem geerbeten Lehnstuhl,

Mit braunnarbichtem Jucht voll schwellender Haare bepolstert.

Festlich prangte der Greis in gestreifter kalmankener Jacke:

Denn er feierte heute den siebzigsten frohen Geburtstag;

Und ihm hatte sein Sohn, der gelehrte Pastor in Marlitz,

Jüngst vier Flaschen gesandt voll alten balsamischen Rheinweins,

Und gelobt, wenn der Schnee in den hohlen Wegen es irgend

Zuließ', ihn zu besuchen mit seiner jungen Gemahlin.

Eine der Flaschen hatte der alte Mann bei der Mahlzeit

Ihres Siegels beraubt, und mit Mütterchen auf die Gesundheit

Ihres Sohnes geklingt, und seiner jungen Gemahlin,

Die er so gern noch sähe vor seinem seligen Ende!

Auf der Postille lag sein silberfarbenes Haupthaar,

Seine Brill und die Mütze von violettenem Sammet,

Mit Fuchspelze verbrämt, und geschmückt mit goldener Troddel.

Mütterchen hatte das Bett und die Fenster mit reinen Gardinen

Ausgeziert, die Stube gefegt und mit Sande gestreuet,

Über den Tisch die rotgeblümte Decke gebreitet,

Und die bestäubten Blätter des Feigenbaumes gereinigt.

Auf dem Gesimse blinkten die zinnernen Teller und Schüsseln;

Und an den Pflöcken hingen ein paar stettinische Krüge,

Eine zierliche Ell, ein Mangelholz und ein

Desem1).

Auch den eichenen Schrank mit Engelköpfen und Schnörkeln,

Schraubenförmigen Füßen und Schlüsselschilden von Messing,

(Ihre selige Mutter, die Küsterin, kauft' ihn zum Brautschatz:)

Hatte sie abgestaubt und mit glänzendem Wachse gebohnert,

Oben stand auf Stufen ein Hund und ein züngelnder Löwe,

Beide von Gips, Trinkgläser mit eingeschliffenen Bildern,

Zween Teetöpfe von Zinn, und irdene Tassen, und Äpfel.

Jetzo erhob sie sich vom binsenbeflochtenen Spinnstuhl

Langsam, trippelte leis auf knarrendem Sande zur Wanduhr

Hin, und knüpfte die Schnur des Schlaggewichts an den Nagel,

Daß den Greis nicht weckte das klingende Glas und der Kuckuck;

Sah dann hinaus, wie der Schnee in häufigen Flocken am Fenster

Rieselte, und wie der Sturm in den hohen Eschen des Hofes

Rauscht', und verwehte die Spuren der hüpfenden Krähn an der Scheune.

»Aber mein Sohn kommt doch, so wahr ich Elisabeth heiße!

(Flüsterte sie:) denn seht, wie die Katz auf dem Tritte des Tisches

Schnurrt und ihr Pfötchen leckt, und Bart und Nacken sich putzet!

Dies bedeutet ja Fremde, nach aller Vernünftigen Urteil!«

Sprach's, und setzte die Tassen mit zitternden Händen in Ordnung,

Füllte die Zuckerdos, und scheuchte die summenden Fliegen,

Die ihr Mann mit der Klappe verschont zur Wintergesellschaft;

Nahm zwo irdene Pfeifen, mit grünen

Posen2) gezieret,

Von dem Gesims und legte Tobak auf den zinnernen Teller.

Jetzo ging sie und rief mit leiser heiserer Stimme

Aus der Gesindestube Marie vom tummelnden Spulrad:

»Scharre mir Kohlen, Marie, aus dem tiefen Ofen, und lege

Kien und Torf hinein, und dürres büchenes Stammholz;

Denn der alte Vater, du weißt es, klaget beständig

Über Frost, und sucht die Sonne sogar in der Ernte.«

Also sprach sie; da scharrte Marie aus dem Ofen die Kohlen,

Legte Feurung hinein, und weckte die Glut mit dem Blasbalg,

Hustend, und schimpfte den Rauch, und wischte die tränenden Augen.

Aber Mütterchen brannt' am Feuerherd in der Pfanne

Emsig die Kaffeebohnen, und rührte sie oft mit dem Löffel;

Knatternd bräunten sie sich, und schwitzten balsamisches Öl aus.

Und sie langte die Mühle herab vom Gesimse des Schornsteins,

Schüttete Bohnen darauf, und nahm sie zwischen die Kniee,

Hielt mit der Linken sie fest, und drehte den Knopf mit der Rechten;

Sammelte auch haushältrisch die hüpfenden Bohnen vom Schoße,

Und goß auf das Papier den grobgemahlenen Kaffee.

Aber nun hielt sie mitten im Lauf die rasselnde Mühl an:

»Eile, Marie, und sperre den wachsamen Hund in den Holzstall,

Steig auf den Taubenschlag, und sieh, ob der Schlitten nicht ankommt.«

Also sprach sie; da eilte die fleißige Magd aus der Küche,

Lockte mit schimmlichem Brote den treuen Monarch in den Holzstall,

Krampte die Türe zu, und ließ ihn kratzen und winseln;

Stieg auf den Taubenschlag, und pustete, rieb sich die Hände,

Steckte sie unter die Schürz und schlug sich über die Schultern.

Jetzo sah sie im Nebel des fliegenden Schnees, wie der Schlitten

Dicht vor dem Dorfe vom Berg herklingelte, stieg von der Leiter

Eilend herab und brachte der alten Mutter die Botschaft.

Aber mit bebenden Knieen enteilte die Mutter; ihr Herz schlug

Ängstlich, ihr Othem war kurz, und im Laufen entflog ihr Pantoffel.

Näher und näher kam das Klatschen der Peitsch und das Klingeln;

Und nun schwebte der Schlitten herein durch die Pforte des Hofes,

Hielt an der Tür; und es schnoben, beschneit und dampfend, die Pferde.

Mütterchen eilte hinzu, und rief: »Willkommen! Willkommen!«

Küßt' und umarmte den lieben Sohn, der zuerst aus dem Schlitten

Sprang, und half der Tochter aus ihrem zottigen Fußsack,

Löst' ihr die samtne Kapuz, und küßte sie; Tränen der Freude

Liefen von ihrem Gesicht auf die schönen Wangen der Tochter.

»Aber wo bleibt mein Vater? Er ist doch gesund am Geburtstag?«

Fragte der Sohn; da

tuschte3) die Mutter

mit winkenden Händen:

»Still! er schläft! Nun laßt die beschneiten Mäntel euch abziehn;

Und dann weck ihn mit Küssen, du liebe trauteste Tochter!

Armes Kind, das Gesicht ist dir recht rot von dem Ostwind!

Aber die Stub ist warm; und gleich soll der Kaffee bereit sein!«

Der Desem, oder Besemer, ist eine Art Waage in den Haushaltungen, die durch eine

mit Blei ausgegossene Kolbe, auf einem Seile schwebend, die Last gegenüber bestimmt.

 

Aus Posen, Federspulen, macht man gefärbte Aufsätze der Pfeife.

 

Tuschen, zum Schweigen ermahnen, eigentlich durch ein leises: Tusch! Dann auch

durch andere Worte und Gebärden.

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3-15-002332-7
Erschienen im Buch "Idyllen und Gedichte"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.