Johann Heinrich Voss

Der Abendschmaus (Johann Heinrich Voss)

Deipna moi ennepe, Mousa, polutroja kai mala polla.

Matron1)

 

Pächter

                   

Führe den Schecken zu Stall, Hans Jürgen, und futtr' ihn mit Haber;

Laß ihn aber, beileib! abkühlen, eh du ihn tränkest.

 

Frau

Liebes Männchen, wo bleibst du so lang? Ich harre so sehnlich

Unter dem grünen Dach der Kastanie! Küsse mich, Lieber!

Wie der Junge nach dir die Hände streckt, und dich anlacht!

Nimm ihn! Ich säugt' ihn eben, und sieh, wie der Schelm mich benetzt hat!

 

Pächter

Fritz, ich kriege dich, piek! Rotbackichter Bube, versteckst dich?

Komm! Ich gebe dir auch was Schönes! Höre, wie niedlich

Dieses Leierchen klimpert, und oben tanzen die Lämmlein.

 

Frau

Fritzchen, bedanke dich hübsch, und streichel ihn: Eia, Papachen!

 

Pächter

Laß uns hineingehn, Frau; ich brenne vor Hitze. Der Himmel

Geb' uns die Nacht ein Gewitter, das liebe Korn zu erfrischen!

Linsen und Wicken stehn wie versengt. Doch mutig! mein Soldan

Fraß auf dem Wege Gras, auch schöpft die Sonne sich Wasser.

 

Frau

Hier ist die Mütze, mein Lieber, und dein alltäglicher Schlafrock;

Gestern wusch ich ihn rein, und flickte das Loch auf dem Ärmel.

Ilsabe, bringe den Stiefelknecht und die gelben Pantoffeln

Für den Herrn, auch den Meerschaumkopf und die bleierne Dose.

So, nun setze dich hier in den Lehnstuhl nieder, und schmauche

Ehrbar dein Pfeifchen Tobak, und erzähle mir etwas von Hamburg.

Ich will Fritzen indes einwindeln, er reibt sich die Augen.

 

Pächter

Ilsabe, Buttermilch! Du hast doch heute gebuttert?

Nun, mein liebes Dortchen, die Pferde sind glücklich verhandelt.

Isabelle bezahlt Herr Dolling mit achtzig Dukaten;

Und den Apfelschimmel und Schweißfuchs, jeden mit funfzig.

Lange prüft' er sie erst, dann schrie er, die Hände mir schüttelnd:

»Herr, das sind mir einmal Reitpferde, wie ich sie wünsche!

Solche Klepper, mit edlem Pirmonterwasser vereinbart,

Und ein bißchen Diät, versteht sich! müssen unfehlbar

Mich und mein kränkelndes Weibchen vom Hypochonder befreien!

Bleiben Sie doch heut abend; ich hab eine kleine Gesellschaft

Guter Freunde bei mir. Wir trinken alle den Brunnen,

Draußen auf unsern Gärten; doch heute, sehn Sie, ist Posttag.

Nur auf ein Butterbrot, Herr Pächter, und ein Gerichtlein

Gernegesehn! Ich bin so ein Freund von der ländlichen Mahlzeit!«

Ich erwiderte drauf mit weitausscharrendem Bückling:

»Wenn Sie befehlen, mein Herr; ich bin Ihr gehorsamer Diener.«

Hierauf ging ich zu Haus, und ließ die Haare mir kräuseln,

Putzte mit Wachs die Stiefeln, und rieb die silbernen Spornen,

Und ging endlich um acht zu Dollings Brunnengesellschaft.

Zwölf dickbäuchichte Herren und zwölf breithüftige

Damen2)

Saßen, wie angenagelt, mit gierigen Augen am Spieltisch.

Als sie nach drittehalb Stunden die hohen Bete getilget,

Hieß mich der Wirt willkommen, und nötigt' uns alle zur Tafel.

Paarweis rauschten sie hin, und stellten sich rings um die Tafel,

Falteten blitzende Händ', und beteten, oder besahn sich,

Setzten dann, bückend und knicksend, in bunter Reihe sich nieder.

Längst der beladenen Tafel, von zwölf Wachskerzen erleuchtet,

Einer kristallenen Kron, und zwanzig spiegelnden

Blakern3),

Prangte das Wundergebäu des Zuckerbäckers, ein Aufsatz.

Wände von weißem Tragant, mit Spiegelsäulen gestützet,

Liefen an jeglicher Seit, und trugen grünende Reben

Von gesponnenem Glase, mit bräunlichen Trauben behangen;

Porzellanene Winzer mit Hippen schienen beschäftigt:

Einer gab von der Leiter die abgeschnittene Traube

Seiner Winzerin hin, die schmeichelnd ihr Körbchen emporhielt;

Mühsam trugen andre die Last zur schäumenden Kelter.

Oben stand in Gebüsch die alabasterne Trümmer

Einer gotischen Burg; inwendig, vom Flieder beschattet,

Schlief die zuckerne Hirtin auf Blumen; am spiegelnden Bache

Hütete Phylax die Ziegen und seidenflockigen Schäfchen;

Naschend kletterte fern am Traubengeländer ein Böcklein;

Aber die Winzerin faßt' ihm den Bart, und schlug ihn mit Ranken.

Unten schimmert' als See ein Spiegel, mit Binsen umkleistert

Und braunkolbigem Rohr; am Angeldrahte des Fischers

Zappelt' ein perlemutterner Barsch, und rings um die Hütte

Trockneten Reusen und Netze; die Fischerin unter der Pappel

Reichte dem nackten Kind ein Muschelgehäuse zum Spielen.

Mitten blühte der Garten voll künstlichgezeichneter Beete;

Rechts war die Geisblattlaub, und links ein japanisches Lusthaus;

Bäume standen umher voll Kirschen, Äpfel und Birnen,

Aus kandiertem Anis; ein porzellanener Walfisch

Schnob den kristallenen Spring, der bogenweis in des Beckens

Spiegel sich goß, und gefärbter Sand bedeckte die Gänge.

Sechs Gerichte standen an jeglichem Ende der Tafel

Zierlich gestellt, die kalt, und jene brätelnd auf heißen

Silbergefaßten Scheiben von Marmor; neben dem Aufsatz

Standen französische Frücht' und Salate, Trabanten des Bratens.

Schweigend atmeten wir; da neigte Madam sich, und sagte:

»Meine Herren und Damen, Sie sehn hier alles mit einmal.

Nehmen Sie gütig vorlieb mit meiner geringen Bewirtung.«

Sprach's, und zerschnitt den Fasan, mit indischen Vogelnestern,

Wie man erzählte, gewürzt und

Azia4). Hurtig

verteilte

Diesen ein bunter Lakai rangmäßig den Damen und Herren.

Und ein anderer fragte, wer Pontak, sechziger Rheinwein,

Oder Burgunder beföhle, und brachte jedem sein Fläschchen.

Jetzo gab ein Lakai uns reine Teller, und reichte

Junge Kalkuten herum, mit scharfem batavischem

Soja5).

Hierauf reichte dieser die weingesottenen Schmerlen;

Jener den Kabliau, mit Austerbrühe bereitet.

Aber eine Mamsell, die keuchend den Fächer bewegte,

Traf dem Lakai mit der Feder des babilonischen Haarturms

Grad in das Aug, und ach! die Austern umschwammen ihr seidnes

Feuerfarbenes Kleid. Da entstand ein gewaltiger Aufruhr!

Doch bald stillte diesen ein fett Spanferkel in Gallert.

Froher beäugelt selbst kein Naturaliensammler

Durch die Brille den Wurm im künstlichgeschliffenen Bernstein,

Als wir Gäste das Ferkel im helldurchsichtigen Gallert.

Drauf hob ächzend der Diener ein rundes Gebäude vor Dolling,

Hohl wie ein Kirchturmknopf, es hieß Rebhühnerpastete.

Dolling versicherte hoch, sie sei vom berühmtesten Koche

Aus Bordeaux, und gestern mit Schiffer Markus gekommen.

Lüstern umschnüffelten oft die Matrosen des Schiffers Kajüte,

Aßen dann traurig ihr Pökelfleisch. Der schlafende Junge

Träumte von Ceilons Gerüchen, und schrie, als säß er im Mastkorb:

Land! Auch rochen Delphine mit offenem Maul aus dem Wasser,

Und der getäuschte

Pilot6) weissagte von

nahen Gewittern.

Solch ein balsamischer Duft durchdrang die bräunliche Rinde!

Dolling löste behende den Deckel, schöpfte das Fett ab,

Und verteilte lächelnd die köstlichen Eingeweide.

Gierig besah sie der Arzt in dicker Wolkenperücke,

Der sich hinter dem Tuch zahnstocherte, schmeckte mit Anstand,

Und nun mummelt' er dumpf aus vollen käuenden Backen:

»Meine Herren und Damen, das nenn ich vortreffliche Mischung!

Welch ein Geschmack in dem Fleische, den Nägelein, Schwämmen und Trüffeln,

Pfeffer, Oliven, Muskat, Pistazien, Morcheln und Knoblauch!

Freilich erhitzt das Gewürz die jungen Weiber ein wenig;

Aber der Herr Gemahl geb ihnen Salpeter und Weinstein.«

Also sprach er, da scholl ein überlautes Gelächter.

Hierauf kam das Gemüs: als Bohnen, junge Karotten,

Erbsen und Blumenkohl mit Artischocken und Krebsen;

Frische Heringe, Lachs und Hummer begleiteten diese.

Hierauf gingen die Rund' ein braun und ein weißes Gemengsel:

Rüssel und Ohren vom Schwein, Hahnkämme, Zungen von Lämmern,

Kälberbrissel7)

und Ochsengaum, mit Pingeln und Kappern.

Hierauf kam der Rücken des Rehbocks, welchen ein Förster

Vom Blocksberge gesandt. Ein erzgebürgischer Berghahn

Ging dann herum, als Führer des

Ortolanengeschwaders8);

Sein rotkammiger Kopf lag abgeschnitten am Rande.

Auch die Trabanten rückten heran: Tolläpfel, Oliven,

Weißlicher Kopfsalat, Endivien,

Beete9),

Sardellen,

Überzuckertes Obst, und Gurken mit barschem

Orego10).

Jetzo verschob der Arzt die hitzende Wolkenperücke,

Trocknete Finger und Maul, und tiefaufatmend begann er:

»Wahrlich! man kann doch viel der Gottesgaben genießen,

Wenn man sich Zeit läßt! Phh! Ich muß die Weste mir lösen!

Nun es lebe der Herr Wohltäter und seine Gemahlin!«

Matrons Beschreibung eines athenischen Schmauses bei Athenäus IV,5.

besteht meistens aus komisch verdrehten Versen Homers und anderer; der Anfang ist dem der

Odyssee nachgeäfft: Sage mir, Muse, vom Schmause, der viel genähret und vielfach.

 

Im Jahre 1778 trugen die Damen bei uns kleinere Bügelröcke, Poschen

genannt, und ungeheure Haartürme mit Federn.

 

Blaker, ein Wandleuchter mit einem Spiegel von Glas oder Metall.

 

Azia, Adschia, Assja, auch Adschiar oder Assjar, besteht aus indischen, mit

Essig oder Salzlake und scharfem Gewürz eingemachten Kräutern und Wurzeln, besonders aus

den jungen Wurzelschößlingen des Bambusrohrs in Kokos- oder Palmessig, Senf und anderen

Schärfen: wofür unsere Köche auch einheimische Gewächse nehmen.

 

Kalkuten, Truthähne. – Soja, eine kräftige Tunke, die in

Ostindien aus der gequollenen und in Gärung übergehenden Sojafasele (Dolichos Soja) mit

Salzlake und Gewürz, in Europa auch aus eingemachten Schwämmen, bereitet wird.

 

Pilot, Steuermann.

 

Kälberbrissel, Kalbsbröschen, Kalbsmilch, die weiche Brustdrüse

der Kälber.

 

Der Ortolan, auch Fettammer genannt, eine leckere Art Ammern.

 

Die Beete, die rote Rübe.

 

Orego nennen Holländer und Niedersachsen die kretische Doste (Origanum

creticum), die zu Salaten und als Würze beim Einmachen dient.

 

Quittenschnee, zerriebene Quitten mit Gewürz, in geschlagenem

Eiweiß.

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3-15-002332-7
Erschienen im Buch "Idyllen und Gedichte"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.