Johann Georg Scheffner

Das Zeichen am Leibe (Johann Georg Scheffner)

                   

   

Finette, älter als zwölf Jahr,

Ohn' daß sie ihren Leib, noch jene Regung kannte,

Von der die Frau Äbtissin brannte,

Die ihre Seelenhirtin war,

Finette wusch sich einst die Meeresenge,

Wo Lüsternheit, dein Non Plus Ultra liegt,

Durch die die zahlenlose Menge

Des klügelnden Geschlechts ins Reich des Lebens kriecht;

Wo oft den reichsten Throngenossen

Der Bettler, glücklich eingeschifft,

An Glück und Wonne übertrifft.

»Ach«, schrie sie, »ach!« da sie die zarten Sprossen

Zum Schleier der Natur hier sah,

»Ach, ich Unglückliche!« – und ihre Tränen flossen,

»Was wird aus mir – was wächst mir da!«

Indessen wuchs die Zierde des Gestades

Und kräuselte sich täglich mehr und mehr:

So pflanzt der Lenz um Quellen eines warmen Bades

Ein zart Gesträuch zum Schatten um sie her.

Aus Gram vergaß Finette Spiel und Essen,

Bleib manche ganze Nächte wach,

Und konnt das Wunder nicht vergessen,

Das sichtbarlich aus ihrem Leibe brach.

Die bleiche Wange wies, wie sehr sie sich betrübte,

Der Nonnen Trost blieb ohne Frucht,

Auch die Äbtissin, die sie zärtlich liebte,

Fleht, predigt, schilt, versucht

Durch Schmeicheln ihr den Grund des Kummers abzufragen.

»Ach, gnä'dge Frau«, so hub sie endlich an,

Und seufzt und weint, »was hilft's mein Leid zu klagen,

Da doch kein Mensch mir helfen kann!

Mich hat des Himmels Zorn geschlagen,

Ein Zeichen hat sein Grimm an meinem Leib getan,

Das werd' ich wohl bis in die Grube tragen, –

Da seh'n Sie es nur selber an!«

Hier hob das schöne Kind den Vorhang seiner Kleider

Ganz unbefangen auf und zeigte ihr

Den Ansatz zum vermeinten Wundertier.

    (Ein Mönch, der still im Oratoria saß

    Half ungesehen dies Gewächschen mit besehen

    Und glaubt', indem er just Sankt Pauls Geschichte las,

    Auch er säh schon den Himmel offen stehen.)

Madam sah's lächelnd an und dacht gutmütig: Leider

Ist unser Beicht'ger jetzt nicht hier!

Wie gern würd' er mit diesem Kätzchen spielen,

Wie gern würd' er das zarte Haar

Ihm streicheln und ihm gleich ins kleine Mäulchen fühlen,

Ich weiß, wie tändelnd er bei uns einst war.

Jetzt sprach sie: »Liebes Kind, laß dich das gar nicht kümmern,

Dein Klosterfleisch wird's nicht verschlimmern,

Und jede Nonn', auch ich, hat so ein Kätzchen, da,

Sieh nur einmal!« – Finette sah,

Schrie überlaut und sprach: »Ach ja, ach ja,

Ich seh's. Doch welche Katz! Die hat ja Mähnen!«

Und als sie ihr das Bärtchen strich,

Fing sie behaglich an zu gähnen. –

»Ach, welch ein Maul! – Ach, Gott erbarme sich!«

Doch die Äbtissin sprach: »Mein Kind, wie manche Katze

Hat auch das Tier nicht schon zu nicht gebracht!

Erleg erst du so viel, wer weiß, ob deine Katze

Nicht einst das Maul noch größer macht!«

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3-251-00169-8
Erschienen im Buch "Komm. Ziehn dich aus."
Herausgeber: Haffmans Verlag