Der Handschuh (Friedrich Wilhelm Weber)
An einem Nachmittage war's,
recht in der Mitte des Januars.
Zu Pömbsen über den alten Turm
trieb graue Wolken der Wintersturm;
Schneeschanzen warf er an Rainen und Hecken,
sich vor dem Lenz dahinter zu decken.
Erfroren starrten Bach und Teich,
der Wald stand einem Bettler gleich
und klagte dem Winde Blöße und Not.
Die Felder lagen wüst und tot;
Gelbgänschen und Spatz, Markolf und Krähe,
sie zogen ins Dorf, in der Menschen Nähe:
wo Rauch aufsteigt, da wird gekocht,
und Körner gibt's, wo der Drescher pocht.
Da rennt ein Bote in schnellem Lauf
die steile Straße des Dorfs hinauf;
aus Tür und Fenster sieht man ihm nach
und fragt, was er wohl eilen mag?
Im Pfarrhof droben steht er nun
und stampft den Schnee von den Nagelschuhn.
Der Wigand ist es von Schönenberg;
ins Fenster lugt er überzwerch,
ob heute der alte Herr, wie immer,
liest oder betet im kleinen Zimmer.
Er will ihn rufen in Todesnot;
sein Vater aß das letzte Brot
und schmachtet nun nach der Himmelsspeise,
der Labekost für die schwere Reise. -
Der Pfarrer Gerhard Lödige sitzt,
das greise Haupt auf die Hand gestützt,
vertieft in einen schweren Quartanten,
beschlagen mit Messingspangen und Kanten.
Er hatte schon so manches Jahr
als treuer Hirt die Lämmerschar
bewacht und geweidet auf grüner Halde;
nun denkt er des Heimgangs, balde, balde,
und müde der Welt, der Nacht und Not,
gehn seine Gedanken ins Morgenrot.
Er hört des Boten geflügeltes Wort,
nach Nieheim schickt er zum Arzt ihn fort;
dann ruft er den Hausknecht sonder Säumen,
der soll ihm hurtig den Fuchsen zäumen.
Demütig war er jahrelang
zu Fuß gewandert so manchen Gang,
bis Gliederfahren und Zipperlein
ihm mählich lähmten Arm und Bein;
jetzt muß er, will er die Pflicht erfüllen,
ein Rößlein reiten, auch wider Willen.
Er küßt das heilige Sakrament
im Silberkreuz und birgt es behend
an seiner Brust; die Stelle ist rein,
wie in der Kirche der Heiligenschrein.
Und Hut und Mantel nimmt er dann;
zuletzt noch zieht er die Handschuh' an,
zwei langgeschonte und tugendreiche,
wildlederne, pelzgefütterte, weiche,
vielwerte Gabe vom Probst Finet,
der lange schlummert im kühlen Bett.
Schon harrt der Knecht mit dem Pferde sein,
er hinkt zur Türe mit Müh' und Pein,
halb steigt er auf, halb wird er gehoben,
und Bügel und Mantel zurechtgeschoben. -
Das Füchslein, das den Weg schon weiß,
führt man es nur ins richtige Gleis,
hebt seine Hufe mit Gemach,
es tritt bedächtig, ihm ist nicht jach.
Und als sie kommen hinaus auf die Höh',
da weht und wogt und wirbelt der Schnee,
es pfeift der Wind so eisigkalt
herüber gerade vom lippischen Wald.
Der Alte drückt sich den Hut ins Gesicht,
er zieht um die Schultern den Mantel dicht,
doch schützt er die Brust und den Halt ihm nicht,
und es will der beschuhten Hand nicht gelingen,
den störrigen Knopf durch das Knopfloch zu bringen.
Da zieht er den Handschuh aus und rückt
und tastet und schiebt und drängt und drückt,
bis endlich den lahmen Fingern es glückt;
und als er will nach dem Handschuh fassen,
o weh, da hat er ihn fallen lassen!
Das ist nun große Verlegenheit:
kein Mensch zu sehen weit und breit!
Absteigen könnt' er zur Not erträglich,
aufsteigen aber allein, unmöglich!
Was ist zu tun? Der alte Mann,
ein Weilchen sieht er den Flüchtling an;
dann streift er den linken ab sogleich, -
er sitzt so warm, er sitzt so weich! -
und wirft ihn sacht zum rechten nieder
und denkt: »Handschuhe sind Zwillingsbrüder:
der eine ohne den andern ist
ein wertlos Ding für Jud' und Christ;
barhändig will ich weiter traben,
der Finder muß sie beide haben.« -
Der gute Alte, nun ist er tot,
er ging hinein ins Morgenrot;
ich kannt' ihn, als ich ein Knabe war,
den freundlichen Herrn im silbernen Haar.
Zu Pömbsen an der Kirchentür,
da schläft er vierzig Jahre schier
rechts unter dem blühenden Fliederbaum.
Gott mag ihm einen seligen Traum
und zum Ehrenkleide in jenem Leben
zwei warme weiche Handschuh' geben.