Ein politisch Lied (2) (Frank Wedekind)
Teure Frau Redaktion, nie sollst du mich befragen
Nach dem, was ich dir nicht kann sagen,
Sonst muß ich wie der edle Lohengrin
Von hinnen zieh'n mit meinem Schwin.
Was braucht eine Frau so genau auch zu wissen,
Von wem sie sich läßt herzen und küssen.
Richtiger denkt sie sich, dem Gaul,
Wenn er geschenkt ist, sieht man nicht ins Maul.
Unterlaß es daher, unvorsichtige Fragen zu stellen
Nach meiner Herkunft, Namen und Erwerbsquellen,
Dann bleibe ich dir treu als Hieronymus
Jobs, Wächter der Finsternus.
Um nun das politische Artikelschreiben
So trefflich als möglich zu betreiben,
Nenne mir, o Muse, diejenige Partei,
Bei der am meisten Geld zu verdienen sei.
Denn ohne das Geld müssen wir elend sterben.
Man kann es stehlen, erben oder auch erwerben,
Wobei es sich als praktisch empfiehlt,
Daß man niemals kleinere Summen stiehlt.
Denn für das Stehlen von kleineren Summen
Muß man baumeln oder wenigstens brummen.
Erben kann man hingegen, wie man will;
Der eine erbt wenig und der andere viel.
Das Gelderwerben ist äußerst gefährlich
Und der Ertrag in der Regel spärlich;
Deshalb erwirbt man nur, wenn man muß -
O ich armer Hieronymus!
Ich flehe nun noch einmal, meine teure Muse:
Mit der Seelenglut der Eleonore Duse
Verkünde, wo das größte Portemonnaie,
Auf daß ich mit patriotischer Be-
geisterung es meinen Händen erschließe
Und sein Gehalt in meine Taschen fließe.
An einer eigenen Überzeugung, Gott sei Dank,
Ist mein Dichter-Gemüt nicht krank. -
Und Jungfer Muse, erfreut ob meinem Eifer,
Streckt ihre Füßchen und putzt ihren Kneifer
Und spricht mit leiser Beugung des Kopfs:
Höre mich an, Hieronymus Jobs!
Östlich der Elbe haben die Junker
Großen Bedarf an patriotischem Geflunker;
Schreibe doch nur Artikel für sie,
Dann machst du noch eine feine Partie.
Der Heiratskontrakt ist sofort im reinen,
Schreibst du nur gegen die Einfuhr von Schweinen
Und kämpfst für das vaterländische Schwein;
Das wird auch für dich von Vorteil sein.
Hierauf entgegne ich: Holde Muse, ich begreife
Deine Güte, doch die Wurst schmeckt nach Seife.
Ich entsage jeglicher Schweinerei;
Nenne mir doch eine andere Partei!
Und Jungfer Muse, erfreut ob meinem Eifer,
Streckt ihre Füßchen, putzt ihren Kneifer
Und spricht mit leiser Beugung des Kopfs:
Höre mich an, Hieronymus Jobs!
Läßt du die Sozialdemokraten
In der tiefsten Hölle schmoren und braten,
Dann baut dir die deutsche Großindustrie
Ein Schloß am Rhein, und deine Poesie
Wird, wie bei Julius Wolff es gewesen,
Noch weit mehr gekauft als gelesen
In Pergament, Juchten und Saffian.
Und wenn du die Augen zugetan,
Errichtet man dir eherne Monumente,
Maßen jeder Backfisch über dir flennte,
Bis die Gattin schließlich gebar
Und sah, daß die Welt etwas anders war.
Hierauf entgegne ich: Holde Muse, ich begreife
Deine Güte, doch die Wurst schmeckt nach Seife.
Ich danke für alberne Lobhudelei;
Nenne mir daher eine andere Partei!
Und Jungfer Muse, erfreut ob meinem Eifer,
Streckt ihre Füßchen, putzt ihren Kneifer
Und spricht mit leiser Beugung des Kopfs:
Höre mich an, Hieronymus Jobs!
Habemus Papam. Ihr Lutheraner
Seid in der Schule der Welt die Quartaner,
Die hinter den Ohren nicht trocken sind,
Deren Streitmacht blonde Locken sind.
Dagegen erheben wir Ultramontanen
Zweitausendjährige Kriegesfahnen
Aus verschlissener Seide, aus Brokat und Samt
Und freuen uns, daß ihr auf ewig verdammt.
Lasset doch nur mal die Jesuiten
Wieder die jungen Küchlein ausbrüten,
Dann seid ihr Quartaner in Bälde so naß
Wie der Hahnen am Heidelberger Faß.
Hierauf entgegne ich: Holde Muse, ich begreife
Deine Ideale, doch die Wurst schmeckt nach Seife.
Ich gestehe mit Beschämung: Non possumus.
Videant Consules! Hieronymus.
Und Jungfer Muse, erfreut ob meinem Eifer,
Streckt ihre Füßchen und putzt ihren Kneifer
Und spricht mit leiser Beugung des Kopfs:
Höre mich an, Hieronymus Jobs!
Es existieren in unsern deutschen Fabeln
Außer Riesen und Drachen auch die Nationalmiserabeln
Neben Lindwurm und Bandwurm und anderm Gezücht,
Aber in Wirklichkeit existieren sie nicht.
Dagegen verehrt man ihre abgetragenen Schuhe
An einem Wallfahrtsort, genannt Friedrichsruhe.
Die Sohlen waten noch ziemlich tief,
Aber die Absätze sind getreten schief.
Hierauf entgegne ich: Holde Muse, ich vermisse
Deinen guten Geschmack, doch die Wurst schmeckt nach Seife.
Mich verwirrt die Marktschreierei,
Nenne mir daher eine andere Partei!
Und Jungfer Muse, erfreut ob meinem Eifer,
Streckt die Füßchen, putzt ihren Kneifer
Und spricht mit leiser Beugung des Kopfs:
Höre mich an, Hieronymus Jobs!
Es schneidet niemand charaktervollere Gesichter
Im Deutschen Reichstag als Eugen Richter,
Was nicht verwunderlich, denn er stützt
Sich auf die Volksklasse, die besützt.
Möge ihn Gott der Gerechte davor schützen,
Selber nur Charakter zu besützen,
Was indes nicht zu befürchten ist,
Maßen er ein braver, biederer Christ.
Wenn er statt dessen ein Jude wäre,
Regte sich jedenfalls die germanische Ehre,
Und er kämpfte, ehe man sich's versieht,
Als eingefleischter Antisemit.
So aber rezitiert er die deutsche Freiheitsposse
Von dem talentvollen Dichter Hieronymus Mosse,
Darin das Kapital nach allerhöchster Gnade schielt
Und dabei mit Glück die verfolgte Unschuld spielt.
Das Kapital muß nämlich stets ein wenig winseln,
Damit sich seine Reize anständig verzinseln.
Das übrige besorgt die Annoncen-Expedition
Eugen Richter und Artur Levysohn.
Hierauf entgegne ich: Holde Muse, ich begreife
Deine Güte, und die Wurst schmeckt auch diesmal nicht nach Seife,
Aber nach Knoblauch, und das ist einerlei;
Deshalb nenne mir rasch eine andere Partei!
Und Jungfer Muse, erstaunt ob meinem Gruseln,
Läßt sich noch einmal frisch übermuseln
Und spricht mit leiser Beugung des Kopfs:
Höre mich an, Hieronymus Jobs!
Leider gibt es in allen deutschen Staaten
Auch sogenannte Sozialdemokraten,
Die verfolgen gar kein anderes Ziel,
Als zu streiken ohne jedes Taktgefiehl.
Zieht man ihnen dann das Fell über die Ohren,
Dann fühlen sie sich erst recht wie neugeboren,
Und saugt man ihnen aus den Knochen das Mark,
Dann sagen sie, das mache sie gerade stark.
Legt man sie vorsorglich an die Kette,
Dann radeln sie mit den Agrariern um die Wette,
Und kratzt man ihnen die Augen aus,
Dann verbreiten sie Aufklärung von Haus zu Haus.
Kurz und gut, es gibt gar kein Mittel,
Weder Militär, noch Richter, noch Polizeibüttel,
Dem diese Brut nicht widersteht;
Höchstens hilft noch Religiosität.
Daß sie aber an Honoraren viel blechen,
Möchte ich dir wirklich nicht versprechen.
Von Miquel gestand es offen und frei,
Daß bei ihnen nicht viel zu holen sei.
Hierauf entgegne ich: Holde Muse, ich begreife
Die Sozialdemokratie, aber ich pfeife
Ebenfalls auf übersinnliches Honorar.
Welche Partei bezahlt denn bar?
Und Jungfer Muse, erfreut ob meinem Eifer,
Wird in ihrer Haltung steifer und immer steifer,
Rümpft das Näschen und setzt sich in Positur
Und zeigt mir von ihrer Kehrseite die Hälfte nur:
Viel zu holen ist bei keiner von diesen Parteien,
Soll dir hingegen deine Begeisterung gedeihen,
Dann geh mit der Regierung durch dick und dünn
Und schöpfe daraus deinen Gewünn.
Folge der Regierung durch alle Labyrinthe,
Durch die höchsten Höhen und die dickste Tinte,
Dann erfüllt sich früher dein Ideal
Und du wirst Finanzminister oder Oberpostgeneral
Aber vor allem unterlaß deine faulen Witze,
Sie sind in der Diplomatie nichts nütze;
Lieber zeige dich möglichst dumm
Als ganz devoten
Hieronymum.