Ferdinand Freiligrath

Löwenritt (Ferdinand Freiligrath)

(Aus "Gedichte", 1838)

       

Wüstenkönig ist der Löwe; will er sein Gebiet durchfliegen,

Wandelt er nach der Lagune, in dem hohen Schilf zu liegen.

Wo Gazellen und Giraffen trinken, kauert er im Rohre;

Zitternd über dem Gewalt'gen rauscht das Laub der Sykomore.

Abends, wenn die hellen Feuer glühn im Hottentottenkrale,

Wenn des jähen Tafelberges bunte, wechselnde Signale

Nicht mehr glänzen, wenn der Kaffer einsam schweift durch die Karroo,

Wenn im Busch die Antilope schlummert, und am Strom das Gnu:

Sieh, dann schreitet majestätisch durch die Wüste die Giraffe,

Daß mit der Lagune trüben Fluten sie die heiße, schlaffe

Zunge kühle; lechzend eilt sie durch der Wüste nackte Strecken,

Kniend schlürft sie langen Halses aus dem schlammgefüllten Becken.

Plötzlich regt es sich im Rohre; mit Gebrüll auf ihren Nacken

Springt der Löwe; welch ein Reitpferd! Sah man reichere Schabracken

In den Marstallkammern einer königlichen Hofburg liegen,

Als das bunte Fell des Renners, den der Tiere Fürst bestiegen?

In die Muskeln des Genickes schlägt er gierig seine Zähne;

Um den Bug des Riesenpferdes weht des Reiters gelbe Mähne.

Mit dem dumpfen Schrei des Schmerzes springt es auf und flieht gepeinigt:

Sieh, wie Schnelle des Kameles es mit Pardelhaut vereinigt!

Sieh, die mondbestrahlte Fläche schlägt es mit den leichten Füßen!

Starr aus ihrer Höhlung treten seine Augen; rieselnd fließen

An dem braungefleckten Halse nieder schwarzen Blutes Tropfen,

Und das Herz des flücht'gen Tieres hört die stille Wüste klopfen.

Gleich der Wolke, deren Leuchten Israel im Lande Yemen

Führte, wie ein Geist der Wüste, wie ein fahler, luft'ger Schemen,

Eine sandgeformte Trombe in der Wüste sand'gem Meer,

Wirbelt eine gelbe Säule Sandes hinter ihnen her.

Ihrem Zuge folgt der Geier; krächzend schwirrt er durch die Lüfte;

Ihrer Spur folgt die Hyäne, die Entweiherin der Grüfte;

Folgt der Panther, der des Kaplands Hürden räuberisch verheerte;

Blut und Schweiß bezeichnen ihres Königs grausenvolle Fährte.

Taumelnd an der Wüste Saume stürzt sie hin und röchelt leise.

Tot, bedeckt mit Staub und Schaume, wird das Roß des Reiters Speise.

Über Madagaskar, fern im Osten, sieht man Frühlicht glänzen; -

So durchsprengt der Tiere König nächtlich seines Reiches Grenzen.

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3 15 004911 3
Erschienen im Buch "Gedichte"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.