L. Richters Kinder-Symphonie (Eduard Mörike)
als Hochzeitsgeschenk
für Marie Hocheisen, geb. v. Breitschwert
(Ein nicht genug bekanntes Kunstblatt des vortefflichen Meisters; Lithographie mit leichter
Färbung, Querfolio. - Eine Anzahl Kinder, mehr ländlich als städtisch, in
Werktagskleidung, hat sich dicht bei der Stadt am halbverfallenen Zwinger versammelt, wo sie, ganz
unter sich, Musik machen. Mit Ausnahme eines ältern Knaben, der eine wirkliche Geige spielt,
hat jedes nur ein Kinderspielzeug, oder ein zufällig gefundenes Surrogat für das
betreffende Instrument, einen Trichter, eine Gießkanne und dergleichen in Händen. Der
Violinist, und ein zweiter Knabe, sowie das älteste Mädchen, welches mit letzterem
zusammen singt, haben den edelsten musikalischen Ausdruck auf dem Gesicht. Unmittelbar hinter der
Versammlung ist Wäsche zum Trocknen aufgehängt und bildet eine Art von
künstlerischer Draperie. - Die nicht genannte Stadt ist Biberach, woselbst der Vater des
Bräutigams als erster Geistlicher lebt.)
Hier, Liebwerteste, seht ihr einen kleinen
Dilettantenverein, ungleich an Kräften,
Und teilweise versehn mit Tonwerkzeugen,
Die dem Hörenden bange machen könnten.
Ein symphonisches Stück mit Singpartieen
Gilt's, und zwar noch der ersten Proben eine.
Vom andächtigen Klarinett herunter
Bis zum Rätschchen und Vater Haydns Kuckuck
Tut ein jedes nach seinem Kunstvermögen.
Baßposaune, Trompete lasten sichtlich
Auf der schmelzenden Bratsche; offenbar auch
Kommt die Sängerin schon nicht mehr zum Worte
Doch nichts bringt den Direktor aus der Fassung.
Sagt, und wären euch denn die guten Kinder
Völlig fremd? es entdeckte wirklich niemand
Ein bekanntes Gesichtchen hier? - Nun also
Wißt: Landsleute sind's unsres vielgeehrten
Bräutigams! - wie ich näher gleich erkläre.
Denn ich selber, mit einem Dresdner Freunde,
Der verwichenen Herbst sich gern, als Maler,
Unser Schwaben einmal beschauen wollte,
War zufälliger Zeuge dieser Szene,
Als wir beide, von Friedrichshafen kommend,
Vor dem Städtchen im Rißtal, das ihr kennet,
In Erwartung des Vier-Uhr-Zuges müßig
Hin und her um die alten Mauern strichen.
Leider waren des Herrn Dekans Hochwürden
Damals eben verreist, er hätte sonst wohl
Uns im kühligen Haus bei sich ein Fäßlein
Angestochen des edlen Kraftgebräudes,
Das sein heimatlich Ulm ihm zollt alljährlich.
Nun, beim äußersten Häuschen an der hintern
Grabenmauer ist gar ein stiller Winkel.
Eine Witwe, des Kantors selig, wohnt dort
Mit drei Kindern. Der eine Sohn ererbte
Seines Vaters geliebte Geige, aber
Alle dreie von seinen Gaben etwas.
Unvollständig noch, als wir kamen, lärmte,
Sang und pfiff das Orchester durcheinander:
Für die Fehlenden spielte die gesamte
Junge Nachbarschaft mit, und nicht nach Noten.
Doch verstummend auf unsern Wink mit einmal
Wich das wirre Getös dem hellen Goldklang
Einer himmlischen Mädchenstimme, wie wenn
Nachts aus krausem Gewölk des Mondes Klarheit
Tritt, ein Weilchen die reine Bahn behauptend.
Aber nimmer beschreib ich dieser Kehle
Herzgewinnenden Ton, noch jenes Lächeln,
Das verschämt um die frischen Lippen schwebte,
Noch den wonnigen Ernst, mit dem der Geiger
Ihr zunächst sie begleitete, der Bruder;
Neigend beide das Haupt nach einer Seite,
Wie zwei Wipfel, geneigt von einem Hauche,
Seelenvoll dem beseelten Zuge folgend.
- Und was sang sie? Die Worte ließen unschwer
Einen bräutlichen Festgesang erkennen.
Doch mir fiel nicht von weitem ein zu fragen,
Ob dergleichen denn wirklich wo im Werk sei?
Und wir hatten auch nicht lang Zeit: denn während
Wir in herzlicher Rührung horchend standen -
Ludwig Richter und ich und ein vergnügter
Ulmer Spatz, mit noch andern wackern Tierchen -
Scholl die höllische Pfeife her vom Bahnhof.
Rasch nur küßt ich das süße Kind (Freund Richter,
Immer praktischer, zog den Beutel, das ich
Traun im Taumel beinah vergessen hätte) -
Und so rannten wir fort, und Stuttgart zu ging's.
Laßt euch denn, als Ersatz aus Richters Mappe,
Diese stille Musik hier auch gefallen -
Eine Probe nur freilich, aber war nicht
Stets den Liebenden selber ihres Glückes
Vorbereitung so süß wie die Erfüllung?