Goettliche Reminiszenz (Eduard Mörike)
Vorlaengst sah ich ein wundersames Bild gemalt,
Im Kloster der Kartaeuser, das ich oft besucht.
Heut, da ich im Gebirge droben einsam ging,
Umstarrt von wild zerstreuter Felsentruemmersaat,
Trat es mit frischen Farben vor die Seele mir.
An jaeher Steinkluft, deren duenn begraster Saum,
Von zweien Palmen ueberschattet, magre Kost
Den Ziegen beut, den steilauf weidenden am Hang,
Sieht man den Knaben Jesus sitzend auf Gestein;
Ein weisses Vlies als Polster ist ihm unterlegt.
Nicht allzu kindlich deuchte mir das schoene Kind;
Der heisse Sommer, sicherlich sein fuenfter schon,
Hat seine Glieder, welche bis zum Knie herab
Das gelbe Roeckchen decket mit dem Purpursaum,
Hat die gesunden, zarten Wangen sanft gebraeunt;
Aus schwarzen Augen leuchtet stille Feuerkraft,
Den Mund jedoch umfremdet unnennbarer Reiz.
Ein alter Hirte, freundlich zu dem Kind gebeugt,
Gab ihm soeben ein versteinert Meergewaechs,
Seltsam gestaltet, in die Hand zum Zeitvertreib.
Der Knabe hat das Wunderding beschaut, und jetzt,
Gleichsam betroffen, spannet sich der weite Blick,
Entgegen dir, doch wirklich ohne Gegenstand,
Durchdringend ewge Zeiten-Fernen, grenzenlos:
Als wittre durch die ueberwoelkte Stirn ein Blitz
Der Gottheit, ein Erinnern, das im gleichen Nu
Erloschen sein wird; und das welterschaffende,
Das Wort von Anfang, als ein spielend Erdenkind
Mit Laecheln zeigts unwissend dir sein eigen Werk.