Erinnerung (Eduard Mörike)
An C. N.
Jenes war zum letztenmale,
Dass ich mit dir ging, o Claerchen!
Ja, das war das letztemal,
Dass wir uns wie Kinder freuten.
Als wir eines Tages eilig
Durch die breiten, sonnenhellen,
Regnerischen Strassen, unter
Einem Schirm geborgen, liefen;
Beide heimlich eingeschlossen
Wie in einem Feenstuebchen,
Endlich einmal Arm in Arme!
Wenig wagten wir zu reden,
Denn das Herz schlug zu gewaltig,
Beide merkten wir es schweigend,
Und ein jedes schob im stillen
Des Gesichtes gluehnde Roete
Auf den Widerschein des Schirmes.
Ach, ein Engel warst du da!
Wie du auf den Boden immer
Blicktest, und die blonden Locken
Um den hellen Nacken fielen.
"Jetzt ist wohl ein Regenbogen
Hinter uns am Himmel", sagt ich,
"Und die Wachtel dort im Fenster,
Deucht mir, schlaegt noch eins so froh!"
Und im Weitergehen dacht ich
Unsrer ersten Jugendspiele,
Dachte an dein heimatliches
Dorf und seine tausend Freuden.
- "Weisst du auch noch", frug ich dich,
"Nachbar Buettnermeisters Hoefchen,
Wo die grossen Kufen lagen,
Drin wir sonntags nach Mittag uns
Immer haeuslich niederliessen,
Plauderten, Geschichten lasen,
Waehrend drueben in der Kirche
Kinderlehre war - (ich hoere
Heute noch den Ton der Orgel
Durch die Stille ringsumher):
Sage, lesen wir nicht einmal
Wieder wie zu jenen Zeiten
- Just nicht in der Kufe, mein ich -
Den beliebten Robinson?"
Und du laecheltest und bogest
Mit mir um die letzte Ecke.
Und ich bat dich um ein Roeschen,
Das du an der Brust getragen,
Und mit scheuen Augen schnelle
Reichtest du mirs hin im Gehen:
Zitternd hob ichs an die Lippen,
Kuesst es bruenstig zwei- und dreimal;
Niemand konnte dessen spotten,
Keine Seele hats gesehen,
Und du selber sahst es nicht.
Dieses war zum letztenmale,
Dass ich mit dir ging, o Claerchen!
Ja, das war das letztemal,
Dass wir uns wie Kinder freuten.