Daniel Schiebeler

Pyreneus und die Musen (Daniel Schiebeler)

               

Die Musen waren ausspaziert,

Nachdem sie gnug gesessen;

Da kam ein Sturm mit Regenflut,

Sie hatten Schirm und Sonnenhut

Zum Ungelück vergessen.

Fürst Pyreneus wohnte hier

Recht in der Fluren Mitte.

Er sah die Not der heilgen Neun,

Und lud sie in sein Schloß herein;

Genehmigt ward die Bitte.

Er schützte hübsche Mädchen gern

Vor Sturm und Ungewitter.

Er war im Lande weit und breit

Das Schrecken und das Herzeleid

Der Männer und der Mütter.

Der Hof war, seinem König gleich,

Den Lüsten ganz ergeben.

Es galt für ihre Schwelgerei

Frau, Witwe, Jungfer einerlei;

Welch ein verruchtes Leben!

Neun artge Mädchen auf einmal!

Erwünscht war diese Beute.

Geordnet ward ein prächtger Schmaus,

Ein jeder griff ein Mädchen aus,

Und saß an ihrer Seite.

Nach aufgehobner Tafel ließ

Das heitre Licht sich sehen;

Die schönen Kinder neigten sich,

Und nahmen Abschied dankbarlich,

Und wollten weiter gehen.

Allein der Wirt ersuchte sie,

Die Zeche zu bezahlen.

In welcher Münze! Himmel, ach!

Für keusche Mädchen, welche Schmach!

Wer kann ihr Schrecken malen?

Man kam zu räubrisch kühner Wut,

Verriegelte die Türen.

Dort standen, schön, und weich, und groß,

Drei Kanapees, fürwahr! nicht bloß

Das Zimmer auszuzieren.

Der König wagt's, Melpomenen

In seinen Arm zu fassen.

Sie zog ein gräßliches Gesicht;

Doch dies bewog den Wütrich nicht,

Den schönen Raub zu lassen.

Und ach! Thalia ward das Teil

Des trunknen Hofpoeten.

Er greift sie an, voll Rachbegier

Daß er so oft umsonst von ihr

Begeisterung gebeten.

Die Frevler waren schon bereit,

Die Bosheit zu vollenden;

Doch plötzlich rief das Musenchor

Der Gottheit ganze Macht hervor,

Das Unglück abzuwenden.

In bunte Vögel seltner Art

Verkehrten sich die Schönen;

Ein Fenster, das sie offen sahn,

Gab ihrem Fluge freie Bahn;

Fort gingen die Kamönen.

Die ihr dies Märchen angehört,

Es kann euch Nutzen bringen.

Wenn ihr den Musen nicht gefallt,

Versucht es ja nicht durch Gewalt;

Sie lassen sich nicht zwingen.

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3-15-008501-2
Erschienen im Buch "Deutsche Balladen"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.