Christian Hofmann von Hofmannswaldau

Die Wollust - Die Tugend (Christian Hofmann von Hofmannswaldau)

1.

             

DIe Tugend pflastert uns die rechte Freudenbahn /

Sie kan den Nesselstrauch zu Lilgenblättern machen /

Sie lehrt uns auf dem Eis und in dem Feuer lachen /

Sie zeiget wie man auch in Banden herrschen kan /

Sie heisset unsern Geist im Sturme ruhig stehen /

Und wenn die Erde weicht / uns im Gewichte gehen.

2.

Es giebt uns die Natur Gesundheit / Krafft und Muth /

Doch wo die Tugend nicht wil unser Ruder führen /

Da wird man Klippen / Sand und endlich Schifbruch spüren /

Die Tugend bleibet doch der Menschen höchstes Gutt /

Wer ohne Tugend sich zu leben hat vermessen /

Ist einem Schiffer gleich / so den Compaß vergessen.

3.

Gesetze müssen ja der Menschen Richtschnur seyn /

Wer diesen Pharus ihm nicht zeitlich wil erwehlen /

Der wird / wie klug er ist / des Hafens leicht verfehlen;

Und läuffet in den Schlund von vielen Jammer ein /

Wem Lust und Uppigkeit ist Führerin gewesen /

Der hat vor Leitstern ihm ein Irrlicht auserlesen.

4.

Diß / was man Wollust heist / verführt und liebt uns nicht /

Die Küsse so sie giebt / die triffen von Verderben /

Sie läst uns durch den Strang der zärtsten Seide sterben /

Man fühlet wie Zibeth das matte Hertze bricht /

Vergifter Hypocras wil uns die Lippen rühren /

Und ein ambrirte Lust zu Schimpf und Grabe führen.

5.

Die Tugend drückt uns doch als Mutter an die Brust /

Ihr Gold und Edler Schmuck hält Farb und auch Gewichte /

Es leitet ihre Hand uns zu dem grossen Lichte;

Wo sich die Ewigkeit vermählet mit der Lust.

Sie reicht uns eine Kost / so nach dem Himmel schmecket /

Und giebt uns einen Rock / den nicht die Welt beflecket.

6.

Die Wollust aber ist / als wie ein Unschlichtlicht /

So helle Flammen giebt / doch mit Gestanck vergehet /

Wer bey dem Epicur / und seinem Hauffen stehet /

Der lernt wie diese Waar / als dünnes Glas zerbricht /

Es kan die Drachenmilch uns nicht Artzney gewehren /

Noch gelbes Schlangengift in Labsal sich verkehren.

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3-15-008889-5
Erschienen im Buch "Gedichte"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.