Auf eine übersendete nelcke (Christian Hofmann von Hofmannswaldau)
DU sendest mir das blut von deinem mund und wangen /
Und eine nelcke muß dein theurer bote seyn:
Ich schaue zwar das blut auf weissen feldern prangen;
Doch stellt die wärmde sich hier nicht als nachbar ein.
Die negel ehr ich zwar mit mehr als tausend küssen /
Ich bin dazu verpflicht / sie kommt auß deiner hand;
Doch wil nichts feuchtes mir auf mund und lippen flüssen:
Was geist und wärmde heist / ist ihr gantz unbekannt.
Sie weiß mit honigthau mir nicht den mund zu netzen /
Sie kennt das schmätzeln nicht und diß was züngeln heist /
Sie weiß den purpur nicht auf meinen mund zu setzen /
Ich fühle nicht was mich auf meine lippen beist.
Sie weiß mir meinen mund nicht schlüpfrig aufzuschliessen /
Die feuchte kützelung kennt diese nelcke nicht.
Durch warmes böben kan sie keinen kuß versüssen /
Weil nässe / geist und blut der nelcke stets gebricht.
Doch kömmt die nelcke mir nicht leichtlich aus dem munde /
Ich aber netze sie durch einen heissen kuß.
Ach freundin! wünsche mir doch zeitlich diese stunde /
Da mich entzücken kan dein reicher überfluß.
Es reist mich aus mir selbst ein süsses angedencken /
Was mir vor höflichkeit dein kuß hat angethan.
Du wirst mir einen kuß bey dieser nelcke schencken /
Und zeigen / daß dein mund mehr als die blume kan.