August von Platen

In Rorschach (August von Platen)

     

Noch bin ich hier im Schoß des freien Volks;

Doch schon erblick ich an den fernen Ufern

Die Länder, wo der Königszepter herrscht,

Wo alle sich des Einen Willen fügen,

Und alles Glück liegt in dem Worte Gunst.

Hier ist kein Vornehm, kein Gering, hier sieht

Dem Bürger sich der Bürger gegenüber;

Und keiner steht so hoch, daß er auf andre

Mit stolzem Blick hinunterschauen kann.

Und wem die Kraft gegeben ward von Gott,

Dem ist kein Weg verschlossen, sie zu zeigen,

Und jeder sucht die Stelle, die ihm ziemt.

Freimütig darf die Zunge sich bewegen,

Nicht bei der Klugheit fragt sie sorglich an,

Wenn sie die Schätze der Gesinnung öffnet.

Hier spendet niemand Gnaden aus als Gott,

Und ewig dauert nur die Herrschaft Gottes.

Hier führt nicht blinde Liebe zu dem Einen,

Nur Sorge für des Ganzen Wohl das Volk.

Kein Demutsblick der Unterwürfigkeit

Wird hier gesehn, und niemand ist, an den

Man immerwährend schöne Worte richtet,

Und der zuweilen nicht ein hartes hört.

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3-15-000291-5
Erschienen im Buch "Gedichte"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.