Wilhelm Müller

Des Finken Abschied (Wilhelm Müller)

             

Es saß ein Fink auf grünem Zweig,

Der war so frisch und blätterreich,

Und sang wohl dies und jenes;

Durch Lenz und Sommer und Herbst er sang,

Hätt da gesungen sein Lebelang,

Wär nicht der Winter kommen.

Der Winter kam mit Saus und Braus:

»Ihr Müßiggänger, zum Reich heraus,

Ihr Flattrer und Sänger und Horcher!

Herab vom Baum, du grünes Blatt!

Zum Bauen und zum Brennen hat

Der Herr das Holz erschaffen.«

Da geht im Hain das Schütteln los,

Und flugs steht alles blank und bloß,

Bis auf den Zweig des Finken.

Jetzt, naseweises Vöglein, flieh!

Mit solcher Staatsökonomie

Da ist nicht viel zu spaßen.

Und als ich 'mal nach Welschland zog,

Manch Vöglein mit dem Wandrer flog,

Da war auch jenes drunter:

Und wär's gewest eine Nachtigall,

So hätt mein Lied einen bessern Schall,

Ich hab's ihm nachgesungen.

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3-458-32601-4
Erschienen im Buch "Die Winterreise"
Herausgeber: Insel Verlag