Theodor Fontane

Die Brück' am Tay (Theodor Fontane)

Die Brück' am Tay

»Wann treffen wir drei wieder zusamm'?«

»Um die siebente Stund', am Brückendamm.«

»Am Mittelpfeiler.«

»Ich lösch die Flamm'.«

»Ich mit.«

»Ich komme vom Norden her.«

»Und ich vom Süden.«

»Und ich vom Meer.«

»Hei, das gibt ein Ringelreihn,

und die Brücke muß in den Grund hinein.«

»Und der Zug, der in die Brücke tritt

um die siebente Stund'?«

»Ei, der muß mit.«

»Muß mit.«

»Tand, Tand

ist das Gebild von Menschenhand.«

Auf der Norderseite, das Brückenhaus -

alle Fenster sehen nach Süden aus,

und die Brücknersleut', ohne Rast und Ruh

und in Bangen sehen nach Süden zu,

sehen und warten, ob nicht ein Licht

übers Wasser hin »ich komme" spricht,

»ich komme, trotz Nacht und Sturmesflug,

ich, der Edinburger Zug.«

Und der Brückner jetzt: »Ich seh einen Schein

am andern Ufer. Das muß er sein.

Nun, Mutter, weg mit dem bangen Traum,

unser Johnie kommt und will seinen Baum,

und was noch am Baume von Lichtern ist,

zünd alles an wie zum heiligen Christ,

der will heuer zweimal mit uns sein, -

und in elf Minuten ist er herein.«

Und es war der Zug. Am Süderturm

keucht er vorbei jetzt gegen den Sturm,

und Johnie spricht: »Die Brücke noch!

Aber was tut es, wir zwingen es doch.

Ein fester Kessel, ein doppelter Dampf,

die bleiben Sieger in solchem Kampf,

und wie's auch rast und ringt und rennt,

wir kriegen es unter: das Element.

Und unser Stolz ist unsre Brück';

ich lache, denk ich an früher zurück,

an all den Jammer und all die Not

mit dem elend alten Schifferboot;

wie manche liebe Christfestnacht

hab ich im Fährhaus zugebracht

und sah unsrer Fenster lichten Schein

und zählte und konnte nicht drüben sein.«

Auf der Norderseite, das Brückenhaus -

alle Fenster sehen nach Süden aus,

und die Brücknersleut' ohne Rast und Ruh

und in Bangen sehen nach Süden zu;

denn wütender wurde der Winde Spiel,

und jetzt, als ob Feuer vom Himmel fiel,

erglüht es in niederschießender Pracht

überm Wasser unten... Und wieder ist Nacht.

Der Hintergrund für dieses Gedicht ist ein tatsächliches

Ereignis: die über drei Kilometer lange, 1878 erbaute Eisenbahnbrücke

über die Mündung des Tay bei Dundee in Ostschottland stürzte während eines

Sturms am 28. Dezember 1879 ein und der Zug von Edinburgh versank im Fjord.

Das Unglück forderte viele Todesopfer. Eine neue Brücke wurde

aufgebaut - doch noch heute (1996) sind die Stüpfe der Pfeiler der

alten Brücke daneben zu sehen. Fontane kannte Schottland von eigenen

Reisen.