Die ybel belohnte Liebe (Salomon Geßner)
Im Jagd-Neze verwikelt lag der Satyr bis zu dem Morgen-Roth im Schilf des Sumpfes; sein einer
Ziegen-Fuß stak ybersich aus dein Neze hervor, ermattet lag er da, unvermoegend, ein einziges
Glied los zu wikeln. Die Voegel, die um den Schilf flatterten, flogen herbey, und die quakenden
Froeschen hypften furchtsam næher, yber den wunderbaren Fang erstaunt. Izt will ich heulen,
sprach er, was meine Kæhle vermag, will ich heulen, bis jemand herbeykoemmt. Und er heulte,
daß es rings umher von Hygeln zu Hygeln durch Haine und Thæler durchs weite Land
nachheulte. Fynf male heult er, und fynf mal umsonst; da kam ein Faun aus dem Hain hervor; woher
koemmt dies hæßliche Geschrey, so rief er, laß die scheußliche Stimme noch
einmal hoeren, daß ich den Ort deines Aufenthalts finde. Und der Satyr heulte noch einmal,
und der Faun lief zum Sumpf, und fand den læcherlich Gefangenen. Um aller Goetter willen!
rief der! Freund! wikle mich los aus dem verfluchten Neze. Schon seit dem fryhen Mond-Schein lig
ich hier im Sumpf. Aber der Faun stand da, beyde vor Lachen erschytterte Hyften unterstyzt, da er
die læcherlich zusammengewikelte Gestalt im Neze sah, sein eines Bein unbeweglich empor
gestrekt, mit halbem Leib im Sumpfe versunken. Izt hub er an, das Nez los zu wikeln, und stellt ihn
auf die Fysse. So schlæft sichs gut, sprach er, nicht wahr? Sag, um aller Goetter willen! sag
mir, durch was fyr ein Schiksal hast du die wunderbare Schlaf-Stætte gefunden? O ihr
Goetter! so sprach der Losgewikelte, so wird die feurigste Liebe belohnt. O! verflucht sey die
Stunde, da ich sie zum ersten mal sah! Aber laß uns dort auf die schief yberhangende Weide
uns sezen; mich schmerzt mein eines Bein. Sie sezten sich auf die Weide, und da hub er die traurige
Geschicht' an. Ein ganzes Jahr schon lieb ich die Nymphe jenes Baches, der dort aus dem
Gestræuche unter jenem Felsen hervorquillt. Dort, wo die Tanne auf dem Felsen steht.
Unerhoert, immer unerhoert, ein Jahr lang stand ich halbe Næchte durch vor ihrer Hoele, und
klagt ihr meine Pein, stand unerhoert da, und seufzte, und jammerte, oder blies ihr zur Lust auf
meiner Quærpfeife, oder sang ihr ein bewegliches Lied von meiner Liebe, daß die Felsen
hætten weinen moegen, aber immer unerhoert.
Das Lied moecht' ich wol hoeren, sprach der Faun.
Sollt' ichs dir nicht singen? sprach der Satyr; es ist das beste, das ich in meinem Leben
gemacht habe. Da hub er an, sein Lied zu singen:
O du! schoenste Goettin! denn gegen dir ist Venus ein gemeines Weib. Willst du meine Liebe immer
unerhoert lassen? Immer taub seyn bey meinen Klagen, wie der Stein hier, auf dem ich size?
O ich Elender! Soll ich immer umsonst vor deiner Hoele pfeifen, und singen, und winseln und
klagen, am heissen Mittag und in der kalten Nacht? Wißtest du, wie syß es ist, einen
jungen Gatten zu haben; frage jene stille Eule, die hinter deinem Felsen in holem Stamm wohnt, und
die des Nachts vor Freude jauchzt wie ich in meinen guten Tagen jauchzte, wenn ich trunken nach
meiner Hoele gieng. O wißtest du es! du wyrdest hervorhypfen, mit deinen weissen Armen
meinen braunen Ryken umschlingen, und mich freundlich in deine Wohnung fyhren, dann wyrd' ich vor
Freude hoch aufhypfen, wie ein junges Kalb hypft. O du Grausame! Wie oft hab ich deine Hoele
mit Tann-Ästen geschmykt, an denen die stark-riechende Frucht hieng, und mit Ästen von
Eichen, damit wenn du vom Tanz oder von den Spielen (ach mit andern!) nach Hause kommest, yber der
schoenen Pracht erstaunest. Wie oft hab ich, du unempfindliche! im jungen Fryhling die ersten
Brombeeren in grossen Koerben vor deine Hoele gestellt, oder was jede Jahres-Zeit gab, Hasel-Nyssen
und die besten Wurzeln. Hab ich dir nicht im Herbst in meinem groessesten Gefæsse gestossene
Trauben gebracht, die in ihrem schäumenden Most schwammen, und frischen Ziegen-Kæs?
Schon lange unterricht ich einen schwarzen Ziegen-Bok fyr dich, und lern ihn Kynste, die dich
erfreuen sollen. Er steht, wenn ich ihn rufe, an mir auf, und kyßt mich; und wenn ich auf
meiner Quærpfeife blase, dann steht er, das solltest du sehen, auf seine hintern Fysse, und
danzet, wie ich danze. O du Grausame! Seit meine Liebe mich so heftig plagt, seitdem schmekt
mir weder Speise noch der Trank, und mein Wein-Schlauch ligt des Tages oft eine ganze Stunde
uneroefnet da. Ehedem war mein Gesicht rund, wie eine Kyrbis-Flasche; izt bin ich hager und
entstellt; auch ist der sysse Schlaf von mir gewichen. O wie syß schlief ich sonst, bis
die heisse Mittags-Sonne in meiner Hoele mich brannte, oder der Durst mich wekte! O Nymphe!
quæle, ach quæle mich nicht længer! Viel lieber wolt ich in Nessel-Stauden mich
wælzen, lieber ohne einen Tropfen Wein eine Stunde lang im heissen Sand an der brennenden
Sonne ligen. O komm, komm, du Milch-weiße Nymphe! komm aus deiner Einsamkeit mit mir in
meine Hoele; sie ist die schoenste im ganzen Hain. Ich habe weiche Ziegen-Fælle fyr dich und
mich ausgebreitet; an ihren beyden Seiten hængen und stehen meine Trink-Gefæsse,
groß und klein in zierlicher Ordnung, und ein herrlicher Geruch von Most und Wein koemmt dir
von aussenher entgegen. O denke, denke, wie syß es ist, wenn einst die muntern Kinder um
unsre Wein-Kryge her sich jagen, oder auf dem Wein-Schlauch sizen und lallen! Vor meiner Hoele
steht eine hohe Eiche, und in ihrem Schatten das Bildniß des Pan; ich hab ihn selbst
kynstlich aus Eichen-Holz geschnitten; er weint yber die Nymphe, die ihm in Schilf verwandelt ward.
Sein Mund ist weit offen; du koenntest einen ganzen Apfel drein legen; so stark hab ich seinen
Schmerz ausgedrykt; ja selbst die Thrænen, die Thrænen selbst hab ich ins Holz
geschnitten. Aber ach! du koemmst nicht, du koemmst nicht, ich muß meine Verzweiflung wieder
nach meiner einsamen Hoele nehmen.
Izt schwieg der Satyr, und erstaunte yber das spoettische Gelæchter seines Retters; aber
sag mir, sprach der Faun, wie kamst du in das Nez?
Geh, sprach der Faun, ich hætte fyr deine beschwerliche Liebe dich fryher gestraft; geh,
danze mit deinem Ziegen-Bok, und vergiß deiner Liebe, oder schneide dein Abentheuer in
Eichen-Holz.