Salomon Geßner

An den Wasserfall (Salomon Geßner)

           

Ist das der Ort, wo sonst Entzyken

    Im sanften Schatten auf mich kam?

Bist du es, Fels! wo aus den Stræuchen

    Die Quelle hoch herunterstyrzt?

Da wo sonst deine klare Quelle

    Auf Schaum und Moos herab sich styrzt,

Da blinkt von Eis izt eine Sæule

    Vom unterhoelten Fels herab.

Wie oed, wie nakt sind die Gestræuche,

    Wo sonst im dunkeln Laub-Gewoelb

Die Zephir mit den Blythen spielten,

    Und mit dem sanft-bewegten Laub,

Daß schnell-verschwundne Sonnen-Stralen

    Auf Wellen, Schaum und weichem Moos,

Wie Lichter durch den Schatten blizten,

    Wie oed, wie nakt hængt ihr herab!

Doch bald, bald koemmt der Fryhling wieder,

    Hængt yber dich ein frisch Gewoelb,

Und oefnet die verschloßne Quelle,

    Daß Kyhlung mit den Wellen fließt.

O dann nihm mich in deine Schatten,

    Wo keine bange Sorg mich findt,

Du Wasser-Fall und du Gebysche,

    Du Lager von dem weichsten Moos!

Dann koemmt vom Thal und von den Hygeln,

    Vom dunkeln Wald und von der Flur,

Mir koemmt von jeder Fryhlings-Blume

    Ein froh Entzyken in die Brust.

Und wenn in deinem kyhlen Schatten

    Mir oft ein frohes Lied gelingt,

Das noch mit Unschuld-voller Freude

    Des spæten Enkels Brust erfyllt?

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3-15-009431-3
Erschienen im Buch "Idyllen"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.