Otto Ernst

Nis Randers (Otto Ernst)

                 

 

Krachen und Heulen und berstende Nacht,

Dunkel und Flammen in rasender Jagd –

Ein Schrei durch die Brandung!

Und brennt der Himmel, so sieht man's gut:

Ein Wrack auf der Sandbank! Noch wiegt es die Flut;

Gleich holt sich's der Abgrund.

Nis Randers lugt – und ohne Hast

Spricht er: »Da hängt noch ein Mann im Mast;

Wir müssen ihn holen.«

Da faßt ihn die Mutter: »Du steigst mir nicht ein:

Dich will ich behalten, du bliebst mir allein,

Ich will's, deine Mutter!

Dein Vater ging unter und Momme, mein Sohn;

Drei Jahre verschollen ist Uwe schon,

Mein Uwe, mein Uwe!«

Nis tritt auf die Brücke. Die Mutter ihm nach!

Er weist nach dem Wrack und spricht gemach:

»Und seine Mutter?«

Nun springt er ins Boot, und mit ihm noch sechs:

Hohes, hartes Friesengewächs;

Schon sausen die Ruder.

Boot oben, Boot unten, ein Höllentanz!

Nun muß es zerschmettern...! Nein: es blieb ganz!...

Wie lange? Wie lange?

Mit feurigen Geißeln peitscht das Meer

Die menschenfressenden Rosse daher;

Sie schnauben und schäumen.

Wie hechelnde Hast sie zusammenzwingt!

Eins auf den Nacken des andern springt

Mit stampfenden Hufen!

Und Auge und Ohr ins Dunkel gespannt...

Still – ruft da nicht einer? – Er schreit's durch die Hand:

»Sagt Mutter, 's ist Uwe!«

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3-15-008501-2
Erschienen im Buch "Deutsche Balladen"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.