Nikolaus Lenau

Schilflieder (Nikolaus Lenau)

Drüben geht die Sonne scheiden,

Und der müde Tag entschließ.

Niederhangen hier die Weiden

In den Teich, so still, so tief.

Und ich muß mein Liebstes meiden:

Quill, o Träne, quill hervor!

Traurig säuseln hier die Weiden,

Und im Winde bebt das Rohr,

In mein stilles, tiefes Leiden

Strahlst du,' Ferne! hell und mild,

Wie durch Binsen hier und Weiden

Strahlt des Abendsternes Bild.

Trübe wirds, die Wolken jagen,

Und der Regen niederbricht,

Und die lauten Winde klagen:

"Teich, wo ist dein Sternenlicht?"

Suchen den erloschnen Schimmer.

Tief im aufgewühlten See.

Deine Liebe lächelt nimmer

Nieder in mein tiefes Weh!

Auf geheimem Waldespfade

Schleich ich gern im Abendschein

An das öde Schilfgestade,

Mädchen, und gedenke dein!

Wenn sich dann der Busch verdüstert,

Rauscht das Rohr geheimnisvoll,

Und es klaget, und es flüstert,

Daß ich weinen, weinen soll.

Und ich mein, ich höre wehen

Leise deiner Stimme Klang

Und im Weiher untergehen

Deinen lieblichen Gesang.

Sonnenuntergang;

Schwarze Wolken ziehn,

O wie schwül und bang

Alle Winde fliehn!

Durch den Himmel wild

jagen Blitze, bleich;

Ihr vergänglich Bild

Wandelt durch den Teich.

Wie gewitterklar

Mein ich dich zu sehn

Und dein langes Haar

Frei im Sturme wehn!

Auf dem Teich, dem regungslosen,

Weilt des Mondes holder Glanz,

Flechtend seine bleichen Rosen

In des Schilfes grünen Kranz.

Weinend muß mein Blick sich senken;

Durch die tiefste Seele geht

Mir ein süßes Deingedenken,

Wie ein stilles Nachtgebet!

Verfügbare Informationen:
Erschienen im Buch "Die Deutsche Literatur"
Herausgeber: C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung