Der Königssohn (Ludwig Uhland)
1
Der alte, graue König sitzt
Auf seiner Väter Throne;
Sein Mantel glänzt wie Abendrot,
Wie sinkende Sonn' die Krone.
»Mein erster und mein zweiter Sohn!
Euch teil ich meine Lande.
Mein dritter Sohn, mein liebstes Kind!
Was laß ich dir zum Pfande?«
»Gib mir von allen Schätzen nur
Die alte, rostige Krone!
Gib mir drei Schiffe! so fahr ich hin
Und suche nach einem Throne.«
2
Der Jüngling steht auf dem Verdeck,
Sieht seine Schiffe fahren,
Die Sonne strahlt, es spielt die Luft
Mit seinen goldnen Haaren.
Das Ruder schallt, das Segel schwillt,
Die bunten Wimpel fliegen,
Meerfrauen mit Gesang und Spiel
Sich um die Kiele wiegen.
Er spricht: »Das ist mein Königreich,
Das frei und lustig streifet,
Das um die träge Erde her
Auf blauen Fluten schweifet.«
Da ziehen finstre Wolken auf
Mit Sturm und mit Gewitter.
Die Blitze zucken aus der Nacht,
Die Maste springen in Splitter.
Und Wogen stürzen auf das Schiff,
So wilde, Bergen gleiche;
Verschlungen ist der Königssohn
Samt seinem lust'gen Reiche.
3
Fischer
Versunken, wehe, Mast und Kiel!
Der Schiffer Ruf verschollen!
Doch sieh! wer schwimmet dort herbei,
Um den die Wogen rollen?
Er schlägt mit starkem Arm die Flut
Und fürchtet die Wellen wenig,
Trägt hoch das Haupt mit goldner Kron',
Er dünkt mir wohl ein König.
Jüngling
Ein Königssohn, mir aber ist
Die Heimat längst verloren.
Erst hat die schwache Mutter mich,
Die irdische, geboren:
Doch nun gebar die zweite Mutter,
Das starke Meer, mich wieder.
In Riesenarmen wiegte sie
Mich selbst und meine Brüder.
Die andern all ertrugen's nicht,
Mich brachte sie hier zum Strande.
Zum Reiche wohl erkor sie mir
All diese weiten Lande.
4
Fischer
Was spähest du nach der Angel
Von Morgen bis zur Nacht,
Und hast mit aller Mühe doch
Kein Fischlein aufgebracht?
Jüngling
Ich angle nicht nach Fischen,
Ich sah in Meeresschacht,
Wohl jeder Angel allzutief,
Viel königliche Pracht.
5
Wie schreitet königlich der Leu!
Schüttelt die Mähn' in die Lüfte.
Er ruft sein Machtgebot
Durch Wälder und Klüfte.
Doch werd ich ihn stürzen
Mit dem Speer in starker Hand,
Um die Schultern mir schürzen
Sein Goldgewand.
Der Aar, ein König, schwebet auf,
Er rauschet in Wonne,
Will langen sich zur Kron' herab
Die goldne Sonne.
Doch in den Wolken hoch
Soll ihn fahen und spießen
Mein geflügelter Pfeil,
Daß er mir sinke zu Füßen.
6
Im Walde läuft ein wildes Pferd,
Hat nie den Zaum gelitten,
Goldfalb, mit langer, dichter Mähn',
Schlägt Funken bei allen Tritten.
Der Königssohn, er fängt es ein,
Hat sich darauf geschwungen,
Es bläht die Brust und schwingt den Schweif,
Kommt wiehernd hergesprungen.
Und alle horchen staunend auf,
Die in den Tälern hausen.
Sie hören's vom Gebirge her
Wie Sturm und Donner brausen.
Da sprengt herab der Königssohn,
Umwallt vom Fell des Leuen,
Des wilden Rosses Mähne fleugt,
Die Hufe Feuer streuen.
Da drängt sich alles Volk herzu
Mit Jubel und Gesange:
»Heil uns! er ist's, der König ist's,
Den wir erharrt so lange!«
7
Es steht ein hoher, schroffer Fels,
Darum die Adler fliegen,
Doch wagt sich keiner drauf herab,
Den Drachen sehen sie liegen.
In alten Mauern liegt er dort,
Mit seinem goldnen Kamme,
Er rasselt mit der Schuppenhaut,
Er hauchet Dampf und Flamme.
Der Jüngling, ohne Schwert und Schild,
Ist keck hinaufgedrungen,
Die Arme wirft er um die Schlang'
Und hält sie fest umrungen.
Er küßt sie dreimal in den Schlund,
Da muß der Zauber weichen,
Er hält im Arm ein holdes Weib,
Das schönst' in allen Reichen.
Die herrliche, gekrönte Braut
Hat er am Herzen liegen,
Und aus den alten Trümmern ist
Ein Königsschloß gestiegen.
8
Der König und die Königin,
Sie stehen auf dem Throne,
Da glüht der Thron wie Morgenrot,
Wie steigende Sonn' die Krone.
Viel stolze Ritter stehn umher,
Die Schwerter in den Händen,
Sie können ihre Augen nicht
Vom lichten Throne wenden.
Ein alter, blinder Sänger steht,
An seiner Harf' gelehnet,
Er fühlet, daß die Zeit erschien,
Die er so lang ersehnet.
Er greifet in sein Saitenspiel,
Das ist gar hell erklungen,
Er hat in Licht und Seligkeit
Sein Schwanenlied gesungen.