Josef Freiherr von Eichendorff

Die stille Gemeinde (Josef Freiherr von Eichendorff)

           

Von Bretagnes Hügeln, die das Meer

Blühend hell umsäumen,

Schaute ein Kirchlein trostreich her

Zwischen uralten Bäumen.

Das Kornfeld und die Wälder weit

Rauschten im Sonntagsglanze,

Doch keine Glocken klangen heut

Vom grünen Felsenkranze.

Denn auf des Kirchhofs schattigem Grund

Die Jakobiner saßen,

Ihre Pferde alle Blumen bunt

Von den Grabeshügeln fraßen.

Sie hatten am Kreuz auf stiller Höh

Feldflasch und Säbel hangen,

Derweil sie, statt des Kyrie,

Die Marseillaise sangen.

Ihr Hauptmann aber lehnt' am Baum,

Todmüde von schweren Wunden,

Und schaute wie im Fiebertraum

Nach dem tiefschwülen Grunde.

Er sprach verwirrt: »Da drüben stand

Des Vaters Schloß am Weiher,

Ich selbst steckt's an; das war ein Brand,

Der Freiheit Freudenfeuer!

Ich seh ihn noch: Wie durch den Sturm

Zwischen den feurgen Zungen

Mein stolzer Vater da vom Turm

Sein Banner hat geschwungen.

Und als es war entlaubt vom Brand,

Die Fahn im Wind zerflogen:

Den Schaft als Kreuz nun in der Hand

Teilt' er die Flammenwogen.

Er sah so wunderbar auf mich,

Ich konnt ihn nicht ermorden –

Da sank die Burg, er wandte sich

Und ist ein Pfaff geworden.

Seitdem hör ich in Träumen schwer

Von ferne Glocken gehen

Und seh in rotem Feuermeer

Ein Kreuz allnächtlich stehen.

Es sollen keine Glocken gehn,

Die Nächte zu verstören,

Kein Kreuz soll mehr auf Erden stehn,

Um Narren zu betören!

Und dieses Kirchlein hier bewacht,

Sie sollen nicht Messe singen,

Wir reißen's nieder über Nacht,

Licht sei, wohin wir dringen!« –

Und als die Nacht schritt leis daher,

Der Hauptmann stand am Strande,

So still im Wald, so still das Meer,

Nur die Wachen riefen im Lande.

Im Wind die Glock von selbst anschlug,

Da wollt ein Hauch sich heben,

Wie unsichtbarer Engel Flug,

Die übers Wasser schweben.

Nun sieht er auch im Meere fern

Ein Lichtlein hell entglommen;

Er dacht, wie ist der schöne Stern

Dort in die Flut gekommen?

Am Ufer aber durch die Nacht

In allen Felsenspalten

Regt sich's und schlüpft es leis und sacht,

Viel dunkle, schwanke Gestalten.

Nur manchmal von den Buchten her

Schallt Ruderschlag von weitem,

Auf Barken lautlos in das Meer

Sie nach dem Stern hin gleiten.

Der wächst und breitet sich im Nahn

Und streift mit Glanz die Wellen,

Es ist ein kleiner Fischerkahn,

Den Fackeln mild erhellen.

Und einsam auf des Schiffleins Rand

Ein Greis kommt hergezogen

In wunderbarem Meßgewand

Als wie der Hirt der Wogen.

Die Barken eine weite Rund

Dort um den Hirten machen,

Der laut nun überm Meeresgrund

Den Segen spricht im Nachen.

Da schwieg der Wind und rauscht' das Meer

So wunderbare Weise,

Und auf den Knien lag ringsher

Die stille Gemeinde im Kreise.

Und als er das Kreuz hob in die Luft,

Hoch zwischen die Fackeln trat er –

Den Hauptmann schauert im Herzensgrund,

Es war sein alter Vater.

Da taumelt' er und sank ins Gras

Betend im stillen Grunde,

Und wie Felsenquellen im Frühling brach

Sein Herzblut aus allen Wunden.

Die stürzten sich in den Krieg so weit,

Sie sind verweht und zerstoben,

Das Kirchlein aber steht noch heut

Unter den Linden droben.

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3-15-008501-2
Erschienen im Buch "Deutsche Balladen"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.