Phantasie (John Keats)
Phantasie! o laß sie frei;
Alles geht so schal vorbei:
Welche Wange wird nicht grau
Durchs Bestarren? Welcher Frau
Gereifte Lippen sind stets neu?
Wo ists Auge, noch so treu,
Das nicht langweilt? Das Gesicht,
Das man ständig treffen möcht?
Wo die Stimme, noch so sacht,
Die dich stets neu lauschen macht?
Kaum berührt, sind süße Wonnen
Wie ein Regenguß zerronnen.
Drum laß Phantasie auf Schwingen
Deinem Hirn die Herrin bringen:
Ceres´ Tochter gleich an Zärte,
Eh der Martergott sie lehrte,
Wie man zürnt und rast wie er;
Weiß um Leib und Lenden her
Ganz wie Hebe, als ihr Kleid,
Vom Verschluß aus Gold befreit,
Ihr auf ihre Füße sank,
Während sie vom Weinkelch trank
Und schwach ward Zeus. Zerreiße nur
Phantasiens Seidenschnur;
Schneid rasch ihre Fesseln auf,
Und sie bringt solch Glück zuhauf.
Fliegen laß die Phantasie,
Denn daheim sind Wonnen nie.