Johann Wolfgang von Goethe

Wolkenbildung (Johann Wolfgang von Goethe)

Stratus

           

Wenn von dem stillen Wasserspiegel-Plan

Ein Nebel hebt den flachen Teppich an,

Der Mond, dem Wallen des Erscheins vereint,

Als ein Gespenst Gespenster bildend scheint,

Dann sind wir alle, das gestehn wir nur,

Erquickt', erfreute Kinder, o Natur!

Dann hebt sichs wohl am Berge, sammelnd breit,

An Streife Streifen, so umdüsterts weit

Die Mittelhöhe, beidem gleich geneigt,

Obs fallend wässert oder luftig steigt.

Cumulus

Und wenn darauf zu höhrer Atmosphäre

Der tüchtige Gehalt berufen wäre,

Steht Wolke hoch, zum herrlichsten geballt,

Verkündet, festgebildet, Machtgewalt,

Und, was ihr fürchtet und auch wohl erlebt,

Wie's oben drohet, so es unten bebt.

Cirrus

Doch immer höher steigt der edle Drang!

Erlösung ist ein himmlisch leichter Zwang.

Ein Aufgehäuftes, flockig löst sichs auf,

Wie Schäflein tripplend, leicht gekämmt zuhauf.

So fließt zuletzt, was unten leicht entstand,

Dem Vater oben still in Schoß und Hand.

Nimbus

Nun laßt auch niederwärts, durch Erdgewalt

Herabgezogen, was sich hoch geballt,

In Donnerwettern wütend sich ergehn,

Heerscharen gleich entrollen und verwehn! –

Der Erde tätig leidendes Geschick!

Doch mit dem Bilde hebet euren Blick.-

Die Rede geht herab, denn sie beschreibt;

Der Geist will aufwärts, wo er ewig bleibt.

Verfügbare Informationen:
Erschienen im Buch "Gesammelte Werke in sieben Bänden"
Herausgeber: Bertelsmann Lesering