Johann Wolfgang von Goethe

Trost in Tränen (Johann Wolfgang von Goethe)

       

Wie kommts, daß du so traurig bist,

Da alles froh erscheint?

Man sieht dirs an den Augen an,

Gewiß, du hast geweint.

»Und hab ich einsam auch geweint,

So ists mein eigner Schmerz,

Und Tränen fließen gar so süß,

Erleichtern mir das Herz.«

Die frohen Freunde laden dich,

O komm an unsre Brust!

Und was du auch verloren hast,

Vertraue den Verlust.

»Ihr lärmt und rauscht und ahnet nicht,

Was mich, den Armen quält.

Ach nein, verloren hab ichs nicht,

So sehr es mir auch fehlt.«

So raffe denn dich eilig auf,

Du bist ein junges Blut.

In deinen Jahren hat man Kraft

Und zum Erwerben Mut.

»Ach nein, erwerben kann ichs nicht,

Es steht mir gar zu fern.

Es weilt so hoch, es blinkt so schön,

Wie droben jener Stern.«

»Und mit Entzücken blick ich auf,

So manchen lieben Tag;

Verweinen laßt die Nächte mich,

Solang ich weinen mag.«

Verfügbare Informationen:
Erschienen im Buch "Gesammelte Werke in sieben Bänden"
Herausgeber: Bertelsmann Lesering