Johann Wolfgang von Goethe

Der untreue Knabe (Johann Wolfgang von Goethe)

           

Es war ein Knabe frech genung,

War erst aus Frankreich kommen,

Der hatt ein armes Mädel jung

Gar oft in Arm genommen

Und liebgekost und liebgeherzt,

Als Bräutigam herumgescherzt,

Und endlich sie verlassen.

Das braune Mädel das erfuhr,

Vergingen ihr die Sinnen,

Sie lacht' und weint' und bet't' und schwur;

So fuhr die Seel von hinnen.

Die Stund, da sie verschieden war,

Wird bang dem Buben, graust sein Haar,

Es treibt ihn fort zu Pferde.

Er gab die Sporen kreuz und quer

Und ritt auf alle Seiten,

Herüber, hinüber, hin und her,

Kann keine Ruh erreiten,

Reit't sieben Tag und sieben Nacht;

Es blitzt und donnert, stürmt und kracht,

Die Fluten reißen über.

Und reit't in Blitz und Wetterschein

Gemäuerwerk entgegen,

Bind's Pferd hauß' an und kriecht hinein

Und duckt sich vor dem Regen.

Und wie er tappt, und wie er fühlt,

Sich unter ihm die Erd erwühlt;

Er stürzt wohl hundert Klafter.

Auf einmal steht er hoch im Saal,

Sieht sitzen hundert Gäste,

Hohläugig grinsen allzumal

Und winken ihm zum Feste.

Er sieht sein Schätzel untenan

Mit weißen Tüchern angetan,

Die wend't sich –

Verfügbare Informationen:
Erschienen im Buch "Gesammelte Werke in sieben Bänden"
Herausgeber: Bertelsmann Lesering