Johann Wolfgang von Goethe

Der Junggesell und der Mühlbach (Johann Wolfgang von Goethe)

Gesell

         

Wo willst du, klares Bächlein, hin

So munter?

Du eilst mit frohem, leichtem Sinn

Hinunter.

Was suchst du eilig in dem Tal?

So höre doch und sprich einmal!

Bach

Ich war ein Bächlein, Junggesell;

Sie haben

Mich so gefaßt, damit ich schnell

Im Graben

Zur Mühle dort hinunter soll,

Und immer bin ich rasch und voll.

Gesell

Du eilest mit gelaßnem Mut

Zur Mühle,

Und weißt nicht, was ich junges Blut

Hier fühle.

Es blickt die schöne Müllerin

Wohl freundlich manchmal nach dir hin?

Bach

Sie öffnet früh beim Morgenlicht

Den Laden

Und kommt, ihr liebes Angesicht

Zu baden.

Ihr Busen ist so voll und weiß;

Es wird mir gleich zum Dampfen heiß.

Gesell

Kann sie im Wasser Liebesglut

Entzünden,

Wie soll man Ruh mit Fleisch und Blut

Wohl finden?

Wenn man sie einmal nur gesehn;

Ach! immer muß man nach ihr gehn.

Bach

Dann stürz ich auf die Räder mich

Mit Brausen,

Und alle Schaufeln drehen sich

Im Sausen.

Seitdem das schöne Mädchen schafft,

Hat auch das Wasser beßre Kraft.

Gesell

Du Armer, fühlst du nicht den Schmerz,

Wie andre?

Sie lacht dich an und sagt im Scherz:

Nun wandre!

Sie hielte dich wohl selbst zurück

Mit einem süßen Liebesblick?

Bach

Mir wird so schwer, so schwer vom Ort

Zu fließen:

Ich krümme mich nur sachte fort

Durch Wiesen;

Und käm es erst auf mich nur an,

Der Weg wär bald zurückgetan.

Gesell

Quelle meiner Liebesqual,

Ich scheide;

Du murmelst mir vielleicht einmal

Zur Freude.

Geh, sag ihr gleich und sag ihr oft,

Was still der Knabe wünscht und hofft.

Verfügbare Informationen:
Erschienen im Buch "Gesammelte Werke in sieben Bänden"
Herausgeber: Bertelsmann Lesering