Heinrich Seidel

Waldeinsamkeit (Heinrich Seidel)

Waldeinsamkeit

Es steht der Wald im Mittagsduft

In blassem Dunst die fernen Gipfel,

Und trinkend still die Sonnenluft

Rührt sich kein Blatt im Meer der Wipfel.

In Sommermittagsgluth verlor'n

Liegt Wald und Feld im Bann der Schwüle -

Da ruht sich's gut, wo Quell und Born

Hinrieselt durch die Schattenkühle.

Hast du gehört in solcher Zeit

Wie Harfenton ein fernes Klingen?

Hin schwebt es durch die Einsamkeit

Durchschwimmt die Luft auf Bienenschwingen.

Du weisst es nicht, woher es kam,

Noch was es holdes mag verkünden

Von einem Märchen wundersam,

Das heimlich blüht in Waldesgründen.

Im tiefen Wald, wo nur allein

Der Häher schreit, die Spechte klopfen,

Da rinnt ein Quell aus Feldgestein,

Aus feuchtem Moos die Wasser tropfen.

Es rinnt und quillt und fliesst gemach

Von einer Schale zu der andern,

Derweil durch's dichte Blätterdach

Die Sonnenlichter tanzend wandern.

O süsses Bild der Einsamkeit

Du selig Weib im Felsengrunde,

Wer dich geschaut, trägt alle Zeit

Im Herzen still die holde Kunde.

O selig, wer aus Schall und Rauch

Dich Holde, Reine hat gefunden,

Und wer, in deinem frischen Hauch

Die Seele badend, darf gesunden!

Verfügbare Informationen:
Erschienen im Buch "Glockenspiel - Gesammelte Gedichte, Band VII der Gesammelten Sch"
Herausgeber: A.G. Liebeskind