Sommerabend-Sommernacht - 2. Sonnenuntergang (Heinrich Seidel)
An dem schönen Sommerabend
Sassen wir auf jenem Hügel,
Schauten in den goldnen Westen.
Breithin streckte sich die dunkle
Wolkenbank, darin die Sonne
Nun versunken - nur die Ränder
Glühten noch in goldnem Scheine.
Doch im blauen Himmel drüber
Schwebten rosig weisse Wolken,
Angestrahlt von hellem Glanze.
Welch' ein Wunder sah ich droben:
Auf den Wolkenbänken sassen
Ros'ge Engel reihenweise -
Andre lauschten aus den Wolken,
Andre schwebten hin und wider,
Spielten hier mit Wolkenflocken,
Ritten dort auf einem Wölkchen -
Und es war ein stillbewegtes
Schimmernd rosiges Getümmel.
"Sieh, wie herrlich!" sprach ich leuchtend
Freudevoll zu dem Gefährten.
Dieser nickte nur; wir schauten
Still ins Zauberspiel der Wolken:
Wie die Engel nun verschwebten,
Lauschten noch mit ros'gen Köpfen
Ueber Wolken und verschwanden.
Und der Rosenschein verblasste,
Bis im bläulichen Gedämmer
Nur ein träumend Roth noch ruhte,
Und der Abend still sich senkte.