Heinrich Heine

Seekrankheit (Heinrich Heine)

Seekrankheit

Die grauen Nachmittagswolken

Senken sich tiefer hinab auf das Meer,

Das ihnen dunkel entgegensteigt,

Und zwischendurch jagt das Schiff.

Seekrank sitz ich noch immer am Mastbaum,

Und mache Betrachtungen über mich selber,

Uralte, aschgraue Betrachtungen,

Die schon der Vater Loth gemacht,

Als er des Guten zuviel genossen

Und sich nachher so übel befand.

Mitunter denk ich auch alter Geschichtchen:

Wie kreuzbezeichnete Pilger der Vorzeit,

Auf stürmischer Meerfahrt, das trostreiche Bildnis

Der heiligen Jungfrau gläubig küßten;

Wie kranke Ritter, in solcher Seenot,

Den lieben Handschuh ihrer Dame

An die Lippen preßten, gleich getröstet -

Ich aber sitze und kaue verdrießlich

Einen alten Hering, den salzigen Tröster

In Katzenjammer und Hundetrübsal!

Vergebens späht mein Auge und sucht

Die deutsche Küste. Doch ach! nur Wasser,

Und abermals Wasser, bewegtes Wasser!

Wie der Winterwandrer des Abends sich sehnt

Nach einer warmen, innigen Tasse Tee,

So sehnt sich jetzt mein Herz nach dir,

Mein deutsches Vaterland!

Mag immerhin dein süßer Boden bedeckt sein

Mit Wahnsinn, Husaren, schlechten Versen

Und laulich dünnen Traktätchen;

Mögen immerhin deine Zebras

Mit Rosen sich mästen statt Disteln;

Mögen immerhin deine noblen Affen

In müßigem Putz sich vornehm spreizen

Und sich besser dünken als all das andre

Banausisch dahinwandelnde Hornvieh;

Mag immerhin deine Schneckenversammlung

Sich für unsterblich halten,

Weil sie so langsam dahinkriecht,

Und mag sie täglich Stimmen sammeln,

Ob den Maden des Käses der Käse gehört?

Und noch lange Zeit in Beratung ziehen,

Wie man die ägyptischen Schafe veredle,

Damit ihre Wolle sich beßre

Und der Hirt sie scheren könne wie andre,

Ohn Unterschied -

Immerhin, mag Torheit und Unrecht

Dich ganz bedecken, o Deutschland!

Ich sehne mich dennoch nach dir:

Denn wenigstens bist du noch festes Land.

Verfügbare Informationen:
Erschienen im Buch "BTITEL"
Herausgeber: HRSG.