Gottfried August Bürger

Göckingk an Bürger (Gottfried August Bürger)

                 

Verdammte Versemacherei!

Was hast du angerichtet?

Uns unsers Lebens einz'gen Mai

Zum Kuckuk hingedichtet?

Gevatter Bürger! sagt einmal,

Sind wir nicht brave Thoren,

Daß wir durch selbstgemachte Qual

Den schönen Mai verloren?

Was hat man von dem Dichten? Hum!

Vielleicht das bischen Ehre,

Gekannt zu sein vom Publikum? –

Ich dachte, was mir wäre!

Mag sein, daß man bei Tafel spricht,

Wenn den durchlauchten Bäuchen

Die Zeit lang währt: »Ist Bürger nicht

Amtmann zu Altengleichen?«

Ein Fräulein thut dir wol sogar

Die Gnad' und fragt nicht minder:

»Trägt denn der Bürger eignes Haar?

Hat er schon Frau und Kinder?«

Ein Amtsauditor geht, bepackt

Mit deinem Buch, zu Schönen

Und lieset, daß der Balken knackt

Und alle Fenster dröhnen.

Das hört denn ein Student und schreit:

»Und wohnt' er bei den Sternen!

Ich muß – ist Altengleichen weit? –

Muß Bürgern kennen lernen.«

Und eh' Herr Bürger sich's versieht,

Kommt mein Signor geritten,

Und Bürger, für sein herrlich Lied,

Muß ihn zum Essen bitten.

Da schlingt er nun den Truthahn ein,

Den du mir aufbewahrtest,

Und trinkt – hol' ihn der Fuchs! – den Wein,

Den du für mich erspartest.

Er rühmt dir baß sein gutes Herz,

Will Freundschaft mit dir treiben,

Und droht sogar – o Höllenschmerz! –

Recht oft an dich zu schreiben.

Das macht: Manch ehrliches Journal

Ließ laut dein Lob erschallen;

Allein, wann las denn wol einmal

Herr Bürger eins von allen?

Und ließ ich dich in Kupfer, schier

Von Bausen selber, stechen,

Hilft dir es etwas, wenn von dir

Die Leut' ein Weilchen sprechen?

Was hast du von Dem allen? Sklav'!

Wenn ich's zusammenpresse,

Was ist es, als Despotenschlaf

Und Inquisitenblässe?

Hör' auf! Ich gab mein Herz dir hin,

Eh' du ein Blatt geschrieben;

Hör' auf! und die Frau Amtmannin

Wird dich noch lieber lieben.

Hör' auf! Als Dichter kennt man dich,

Als Mensch lebst du verborgen;

Kein Christenkind bekümmert sich

Um alle deine Sorgen.

Ja! solltest du auch den Homer

In Jamben übersetzen,

Drob werden dich kein Haar breit mehr

Die Herrn Minister schätzen.

Du würdest dennoch nach wie vor

Amtmann zu Gleichen bleiben;

Drum, trauter Bürger, sei kein Thor,

Und trinke, statt zu schreiben.

An Göckingk.

                 

Nun, nun! Verschütt' Er nur nicht gar

Das Kindlein sammt dem Bade!

Das arme Kindlein das! Fürwahr!

Es wär' ja jammerschade.

Denn, sieht Er, trotz der Plackerei

Beim Zeugen und Gebären

Mag doch die edle Reimerei

Auch viel Profit bescheren.

Trotz Sing und Sang von Cypripor,

Apoll, Achill und Hektor

Bleibt man zwar Amtmann nach wie vor,

Auch – Herr Kanzleidirector.

Denn leichter wird durch Vocation

Zu Pension und Pfründen

Die kahlste Dissertation

Als Iliaden finden.

Auch mästet man sich eben nicht

Von Mäcenaten-Gnade,

Trägt A-b-c-Buchs-Angesicht

Und Schlotterbauch und Wade.

Die Herren von der Klerisei

Und aus dem edlen Rathe

Verschmelzen mehr in Supp' und Brei

Und prunken baß im Staate.

Doch neid' ich nicht das Bonzenheer

Um seine dicken Köpfe;

Die meisten sind ja hohl und leer

Wie ihre Kirchthurmknöpfe.

Doch – Spaß bei Seite! – hör' Er an,

Falls ihm mein Ernst beliebig!

Ist denn nicht auch für ihren Mann

Poeterei ergiebig?

Bedenk er nur, wie schön das ist!

Verleger, wohlgezogen,

Bezahlen oft zu dieser Frist

Mit Louisd'or den Bogen.

Wächst nun im zehnten sauern Jahr

Zehn Bogen stark Sein Bändchen,

So schnappt Er ja an Trankgeld bar

Zehn Blinde ohne Rändchen.

Das heißt doch nicht für Katzendreck

Sich müd' und lahm kasteien.

Soll denn so viel gebratner Speck

Umsonst ins Maul Ihm schneien?

Herr Ugolino muß doch auch,

Nebst Weib und Kind und Gästen,

Nach altem hergebrachten Brauch

Von unserm Hirn sich mästen.

Steht der gelahrte Facultist

Dagegen doch viel kahler.

Dem setzt es kaum, wenn's köstlich ist,

Zwei Gulden oder Thaler.

Drob ärgern sich nun freilich baß

Die Herren Facultisten

Und sticheln Ihm ohn' Unterlaß

Brav auf die Belletristen.

Manch Herr Professor kriegte schon

Vor Kummer graue Haare,

Daß mehr jetzt gilt ein Agathon

Als Facultätenwaare.

Der Ruhm hat freilich große Last

In diesem Jammerleben,

Wie du davon zum Sprechen hast

Ein Conterfei gegeben.

Doch nach dem Tode geht's erst an!

Denn auch bei den Tongusen,

Nach tausend Jahren, ehret man,

So Gott will! unsre Musen.

Dort illustrirt man fein aus uns

Antiquitätenlisten.

Uns liest manch hochberühmter Duns

Gelahrter Humanisten.

Die jetzt aus ihrem Bücherschrein

Verächtlich uns verschieben,

Weil wir nicht griechisch und latein

Und nicht arabisch schrieben.

Dort preist man unsre Opera

Durch Commentationen,

Inaugural-Programmata

Und Dissertationen.

Schon hör' ich Krittler-Mordgeschrei

In meinem stillen Grabe,

Wer die Lenore doch wohl sei!

Ob sie gelebet habe.

Man bringt bald chrestomatice

Uns winzig klein in nucem,

Bald, commentirt cum Indice,

In Folio ad lucem.

Wie schön, wenn Knaben, jung und alt,

In jenen goldnen Tagen

Zur Schul', in Riemen eingeschnallt,

Mich alten Knaster tragen!

Aus mir Vocabeln wohlgemuth

Und Phrases memoriren,

Um mich so recht in Saft und Blut,

Ut ajunt, zu vertiren!

Und geht's nicht mit der Lection

Und mit dem Exponiren,

Dann wird's gar schlecht im Hause stohn. –

Der Junker muß cariren! –

Nur eine Angst vergällt den Ruhm,

Den ich mir phantasire,

Daß einst nicht, wie Horatium,

Mich Hans und Kunz vertire.

Verfügbare Informationen:
Erschienen im Buch "Gedichte"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.