Gottfried August Bürger

Europa und Jupiter (Gottfried August Bürger)

Neue weltliche hochdeutsche Reime,

enthaltend

die ebentheyerliche, doch wahrhaftige

Historiam

von der wunderschönen Durchlauchtigen

Kaiserlichen Prinzessin Europe

und einem uralten heidnischen

Götzen, Jupiter item

Zeus

genannt,

als welcher sich nicht entblödet, unter der Larve eines unvernünftigen

Stieres an höchstgedachter Prinzessin ein Crimen raptus, zu deutsch:

Jungfernraub, auszuüben.

Also gesetzet und an das Licht gestellet

durch

M. Jocosum Hilarium, Poet. caes. laur.

                   

     

Vor Alters war ein Gott

Von nicht geringem Ruhme

Im blinden Heidenthume;

Nun aber ist er todt.

Er starb ... post Christum natum ...

Ich weiß nicht mehr das Datum.

Der war an Schelmerei,

Das Weibsen zu betrügen,

Von dem Papa der Lügen

Das ächte Conterfei;

Und kurz, auf alle Fälle

Ein lockerer Geselle.

Ich hab' ein altes Buch,

Das thut von ihm berichten

Viel schnurrige Geschichten,

Worin manch Stutzer gnug

Für seinen Schnabel fände,

Wenn er Latein verstände.

Mein unverdroßner Mund

Soll ohne viel zu wählen

Nur einen Kniff erzählen;

Denn thät ich alle kund,

So wäre zu besorgen,

Ich säng' bis übermorgen.

Eu'r Batzen soll euch nicht,

Geehrte Herrn, gereuen;

Mein Liedel soll euch freuen! –

Doch ihr dort, Schelmgezücht,

Kroaten, hinter 'n Bänken!

Laßt nach mit Lärm und Schwänken!

Heda! Hier nichts gegeckt,

Ihr ungewaschnen Buben!

Narrirt in andern Stuben,

Nur mich laßt ungeneckt!

Sonst hängt euch, schnaps! am Munde

Ein Schloß, wiegt tausend Pfunde.

Ha, das Donatgeschmeiß!

Kaum hört und sieht's was Neues,

So hat es gleich Geschreies,

So puppern Herz und Steiß.

Geduld! Man wird's euch zahlen,

Euch dünnen Schulpennalen!

Traut nicht! Es regt sich hie

In meinem Wolfstornister

Der Kuckuk und sein Küster,

Ein Kobold, – heißt Genie.

Dem schafft's gar guten Frieden,

Wem Gott solch Ding beschieden.

Laßt ja den Griesgram gehn!

Er weiß euch zu kuranzen,

Läßt euch wie Affen tanzen

Und auf den Köpfen stehn,

Wird euch mal begenieen,

Daß euch die Steiße glühen. –

Doch ihr, Kunstjüngerlein!

Mögt meine Melodeien

Nur nicht flugs nachlalleien;

So leicht lallt sich's nicht 'nein.

Beherzigt doch das Dictum:

Cacatum non est pictum. – –

Eu'r Batzen soll euch nicht,

Geehrte Herrn, gereuen.

Mein Liedel soll euch freuen!

Nun schaut mir ins Gesicht!

Merkt auf mit Herz und Sinnen!

Will endlich mal beginnen. –

Zeus wälzt' im Bette sich,

Nachdem er lang gelegen,

Wie Potentaten pflegen,

Und fluchte mörderisch:

»Schon trommelt's zur Parade!

Wo bleibt die Chocolade?«

Gleich bringt sie sein Lakai,

Bringt Schlafrock, Toffeln, Hose,

Schleppt Pfeife, Knasterdose

Nebst Fidibus herbei;

Denn Morgens ging kein Mädchen

Gern in sein Cabinetchen.

Er schlürft' acht Tassen aus,

Hing dann zum Zeitvertreibe

Sich mit dem halben Leibe

Zum Himmelsfenster 'naus

Und schmauchte frisch und munter

Sein Pfeifchen Knaster 'runter.

Und durch sein Perspectiv

Visirt' er von dem Himmel

Nach unserm Weltgetümmel;

Sonst mochten wol so tief

Die abgeschwächten Augen

Nicht mehr zu sehen taugen.

Da nahm er schmunzelnd wahr

Auf schön beblümten Auen,

Gar lieblich anzuschauen,

Vergnügter Mägdlein Schaar,

Die auf dem grünen Rasen

Sich Gänseblümchen lasen.

Die Schönste war geschmückt

Mit einem leichten Kleide

Von rosinfarbner Seide,

Mit Fadengold durchstickt;

Die andern aber schienen

In Demuth ihr zu dienen.

Die niedliche Gestalt,

Die schlanken zarten Glieder

Besah er auf und nieder.

Ihr Alter er gar bald

Recht kunstverständig schätzte

Und es auf sechzehn setzte.

Zum Blumenlesen war

Ihr Röckchen aufgehoben;

Das Perspectiv von oben

Sah alles auf ein Haar.

Die Füßchen, Knie und Waden

Behagten Seiner Gnaden.

Sein Herzenshammer schlug.

Bald wollt' er mehr gewinnen.

Da hub er an zu sinnen

Auf arge List und Trug.

Ihn dünkt, sie zu erschnappen,

Sei's Noth, sich zu verkappen.

Er klügelt' und erfand

Nach schlauem Spintisiren

Als Stier sich zu maskiren;

Doch ist mir unbekannt,

Wie dieses zugegangen

Und wie er's angefangen.

Ich mag um Schlaf und Ruh'

Durch Grübeln mich nicht bringen;

Allein mit rechten Dingen

Ging solches Spiel nicht zu.

Es half ihm, sonder Zweifel,

Gott sei bei uns! † † † der Teufel.

Kurzum, er kommt als Stier

Und graset im Gefilde,

Als führt' er nichts im Schilde,

Erst ziemlich weit von ihr,

Und scheint den Frauenzimmern

Sich schlecht um sie zu kümmern.

Allmählich hub er an,

Sich näher an zu drehen.

Doch noch blieb sie nicht stehen.

Der Krepp wuchs ihr bergan;

Auch ward ihr in die Länge

Die Schnürbrust ziemlich enge.

Doch hört nur! Mein Monsieur

Verstand die fintenvolle

Vorher studirte Rolle,

Wie ich mein A-b-c.

War er Acteur, ich wette,

Daß man geklatschet hätte.

Er hatte Theorie

Mit Praxis wohl verbunden.

In seinen Nebenstunden

Verabsäumt' er fast nie,

Nasonis Buch zu treiben

Und Noten beizuschreiben.

Drum that der arge Stier

Sehr zahm und sehr geduldig,

Schien keiner Tücke schuldig

Und suchte mit Manier

Durch Kopfhang sich und Schweigen

Empfindsam gar zu zeigen.

Das Mägdlein, durch den Schein

Von Sittsamkeit betrogen,

Ward endlich ihm gewogen.

»Sollt' er wol kurrig sein?«

Sprach sie zu ihrer Amme.

»Er gleicht ja einem Lamme!«

Die alte Strunsel rief:

»Ei! welche schöne Frage!

Nach alter deutscher Sage

Sind stille Wasser tief.

Drum chère enfant, drum bleibe

Dem bösen Stier vom Leibe!« –

»Ich möchte«, fiel sie ein,

»Ihm wol ein Kränzel binden

Und um die Hörner winden.

Er wird schon artig sein,

Wenn ich hübsch traulich rabble

Und hinterm Ohr ihm krabble.« –

»Fort, Kind! Da kommt er! Ah!...«

Doch er ließ sacht die Glieder

Ins weiche Gräschen nieder,

Lag wiederkäuend da.

Sein Auge, dumm und ehrlich,

Schien gänzlich nicht gefährlich.

Da ward das Mädchen kühn

Und trieb mit ihm viel Possen –

Das litt er unverdrossen –,

Und ach! und stieg auf ihn,

»Hi! Hi! Ich will's doch wagen,

Ob mich das Thier will tragen?«

Doch der verkappte Gast

Empfand auf seinem Rücken

Mit krabbelndem Entzücken

Kaum seine schöne Last,

So sprang er auf und rennte,

Als ob der Kopf ihm brennte.

Und lief in vollem Trab

Querfeldein, schnurgerade

Zum nächsten Meergestade,

Und hui! that er hinab,

Kein Weilchen zu verlieren,

Den Sprung mit allen Vieren.

»Ach!« schrien die Zofen, »ach!« –

Die an das Ufer sprangen

Und ihre Hände rangen –

»Ach! Ach! Prinzessin, ach!

Was für ein Streich, Ihr Gnaden!

Nun han wir's auszubaden.«

Allein das arme Kind

Hub, zappelnd mit den Beinen,

Erbärmlich an zu weinen:

»Ach! helft mir! helft geschwind!«

Doch unser Schalk vor Freude

War taub zu ihrem Leide.

Nichts half ihr Ach und Weh;

Sie mußte fürbaß reiten.

Da gafft' auf beiden Seiten

Janhagel aus der See

Und hub ganz ausgelassen

Hierüber an zu spaßen.

Der Stier sprach nicht ein Wort

Und trug sie sonder Gnade

Hinüber an's Gestade

Und kam in sichern Port.

Darob empfand der Heide

Herzinnigliche Freude.

Hier sank sie auf den Sand,

Ganz matt durch langes Reiten

Und Herzensbangigkeiten,

Von Sinnen und Verstand.

Vielleicht hat's auch darneben

Ein Wölfchen abgegeben.

Mein Stier nahm frisch und froh

Dies Tempo wahr und spielte,

Als sie nicht sah und fühlte,

Ein neues Qui pro quo;

Denn er verstand den Jocus

Mit fiat Hocus pocus.

Und trat als Cavalier

In hochfrisirten Haaren,

Wie damals Mode waren,

Mit dem Flacon zu ihr

Und hub um Brust und Hüften

Die Schnürbrust an zu lüften.

Kaum war sie aufgeschnürt,

Kaum kitzelt' ihre Nase

Der Duft aus seinem Glase,

So war sie auch curirt;

Drauf er, wie sich's gebührte,

Comme ça mit ihr charmirte

»Willkommen hier ins Grün!

Per Dio! das bejah' ich,

Mein blaues Wunder sah ich!

Woher, mein Kind, wohin?

So weit durch's Meer zu reiten!

Und doch nicht abzugleiten! –

»Indessen freut mich's, hier

In meinem schlechten Garten

Gehorsamst aufzuwarten.

Ma foi! das ahnte mir.

Heut' hatt' ich so ein Träumchen...

Auch juckte mir das Däumchen.

»Man zog ihr wackres Thier,

Worauf Sie hergeritten,

Nachdem Sie abgeschritten,

Gleich in den Stall von hier;

Da soll es nach Verlangen

Sein Futter schon empfangen.

»Sie werden, Herzchen, gelt,

Wol noch ein wenig frieren?

Geruhn Sie zu spazieren

In dieses Lustgezelt

Und thun in meiner Klause,

Als wären Sie zu Hause.

»Hier pflegen Sie der Ruh'

Und trocknen sich, mein Schneckchen,

Ihr Hemde sammt dem Röckchen,

Die Strümpfchen und die Schuh'.

Ich, mit Permiß, will Ihnen

Statt Kammermädchen dienen.«

Sie sträubte jüngferlich

Sich Anfangs zwar ein wenig;

Doch er bat unterthänig

Und da ergab sie sich.

Nun, hochgeehrte Gäste,

Merkt auf! Nun kommt das Beste.

Hem!... Ha! Ich merke wol

An euern werthen Nasen,

Daß ich mit hübschen Phrasen

Eu'r Ohr nun kitzeln soll.

Ihr möchtet um den Batzen

Vor Lachen gern zerplatzen.

Doch, theure Gönner, seht,

Was ich dabei riskire!

Wenn's der Pastor erführe,

Der keinen Spaß versteht,

Dann wehe meiner Ehre! –

Ich kenne die Pastöre! –

Drum weg mit Schäkerein!

Von süß candirten Zoten

Wird vollends nichts geboten,

Hilarius hält fein

Auf Ehrbarkeit und Mores,

Ihr Herren Auditores.

In Züchten, wie sich's ziemt,

Weil mich vor langem Breie

In solchen Schosen scheue,

Meld' ich nur kurz verblümt:

Hier that mit seiner Schöne

Der Herr sich trefflich bene.

Nun schwammen mit Geschrei,

In langen grünen Haaren,

Der Wassernixen Schaaren

Hart an den Strand herbei,

Zu sehen das Spectakel

In diesem Tabernakel.

Nun dank', o frommer Christ,

Im Namen aller Weiber,

Daß dieser Heid' und Räuber

Bereits gestorben ist.

Zwar... fehlt's auch zum Verführen

Nicht an getauften Stieren.

Verfügbare Informationen:
Erschienen im Buch "Gedichte"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.