Gottfried August Bürger

Die Elemente (Gottfried August Bürger)

         

Horch! Hohe Dinge lehr' ich dich:

Vier Elemente gatten sich;

Sie gatten sich, wie Mann und Weib,

Voll Liebesglut in einem Leib.

Der Gott der Liebe rief: Es werde!

Da ward Luft, Feuer, Wasser, Erde.

Des Feuers Quell, die Sonne, brennt

Am blauen Himmelsfirmament.

Sie strahlet Wärme, Tagesschein;

Sie reifet Korn und Obst und Wein,

Macht alles Lebens Säfte kochen

Und seine Pulse rascher pochen.

Sie hüllt den Mond in stillen Glanz

Und flicht ihm einen Sternenkranz.

Was leuchtet vor dem Wandrer her?

Was führt den Schiffer durch das Meer

Viel tausend Meilen in die Ferne?

Ihm leuchten Sonne, Mond und Sterne.

Die Luft umfängt den Erdenball,

Weht hie und dort, weht überall,

Ist Lebenshauch aus Gottes Mund,

Durchwandelt gar das Erdenrund,

Wo sie durch alle Höhlung webet

Und selbst des Würmchens Lunge hebet.

Das Wasser braust durch Wald und Feld,

In tausend Arme nimmt's die Welt.

Wie Gottes Odem, dringt es auch

Tief durch der Erde finstern Bauch.

Die Wesen schmachteten und sänken,

Wo sie nicht seines Lebens tränken.

Drei Bräutigamen hat als Braut

Die Erd' ihr Schöpfer angetraut.

Hat Luft und Wasser sie umarmt,

Ist von der Sonn' ihr Schooß erwarmt,

So wird ihr Schooß zu allen Stunden

Von Kindern jeder Art entbunden.

Sie hegt und pflegt mit Mutterlust

All' ihre Kindlein an der Brust.

Sie ist die beste Mutter, sie;

Sie säuget spät, sie säuget früh.

Kein Kindlein, so ihr Schooß geboren,

Geht ihrem Schooße je verloren.

Sieh hin und her! Sieh rund um dich!

Die Elemente lieben sich;

Sie gatten sich in Himmelsglut;

Je eins dem andern Liebes thut.

Aus solchem Liebestrieb' empfangen,

Bist du, o Mensch, hervorgegangen.

Nun prüfe dich, nun sage mir:

Glüht noch des Ursprungs Glut in dir?

Erhellt, wie Sonne, dein Verstand,

Erhellt er Haus und Stadt und Land?

Entlodert, gleich den Himmelskerzen,

Noch Liebeslohe deinem Herzen?

Und deine Zunge, stimmet sie

Zur allgemeinen Harmonie?

Ist deine Rede, dein Gesang

Der Herzensliebe Widerklang?

Entweht dir Friede, Freude, Segen,

Wie Maienluft und Frühlingsregen?

Hält unzerrissen deine Hand

Das heilge Verlobungsband?

Reicht sie dem Nächsten in der Noth

Von deinem Trank, von deinem Brod

Und seinen nackenden Gebeinen

Von deiner Wolle, deinem Leinen? –

Du Bastard, der nicht lieben kann!

Was bist du ohne Liebe dann? –

Ein todter Klumpen ist dein Herz;

Du bist ein eitel tönend Erz;

Bist leerer Klingklang einer Schelle

Und Tosen einer Wasserwelle.

Verfügbare Informationen:
Erschienen im Buch "Gedichte"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.