Gottfried August Bürger

Der Vogel Urselbst, seine Recensenten und der Genius (Gottfried August Bürger)

seine Recensenten und der Genius.

Eine Fabel in Burkard Waldis' Manier.

               

Ein Vogel ganz besondrer Art,

Der sich mit keinem andern paart,

Und, weil er immer einsam kreist,

Original, deutsch: Urselbst, heißt,

War Liebling eines Genius

Und hörte dennoch mit Verdruß:

»Das Flügelpaar, mit welchem ihn

Der hohe Genius beliehn,

Trag' ihn zwar ziemlich hoch und weit

Mit seiner Kraft durch Raum und Zeit;

Allein der Flug sei doch nicht schön

Zu hören oder anzusehn.«

So rief aus Troja's Schutt und Graus

Ein kranker Uhu erst heraus.

Nachrief es flugs ein Papagai

In einer neuen Bücherei,

Wo auf der Grazien Altar

Der Schwätzer eingekäfigt war.

Bald gackten's auch den ganzen Tag

Die Hühner und die Gänse nach.

So ward ein Wort Sanct Klopstocks wahr,

Das Wort: Nachahmer hier sogar!

Da flog der Urselbst hin und bat

Des Uhu Majestät um Rath:

»Herr, gib dich näher zu verstehn,

Wie flieg' ich dir zu Dank recht schön?« –

Der Uhu zog die Stirne kraus

Und sann – und sann den Rath heraus:

»Behaget gleich auf jeder Flur

Dein Flug dem Sohne der Natur,

So frommt doch diese Gunst dir nichts

Vor der Gewalt des Kunstgerichts.

Das Püppchen der Convention

Rümpft stets sein Näschen drob mit Hohn;

Denn eingeschnürte Schulcultur

Haßt gliederfreie Weltnatur.

Drum mußt du, wenn ich rathen soll,

Der Reglerin zum Opferzoll

Erst manchen Schwungkiel dir entziehn,

Womit Naturgeist dich beliehn.« –

Der Urselbst säumt' es nicht zu thun

Und fragte gläubig: »Herr, was nun?« –

»Es fliegt im dritten Himmelssaal

Ein Vogel Namens: Ideal.

Mit dessen Federn rüste dich,

Sonst fliegst du ewig schlecht für mich.

Noch thatst du keinen Flügelschlag,

Der tadellos passieren mag.

Versagt bleibt drum auf mein Geheiß

Dir der Vollendung Paradeis.« –

Da sprach der Urselbst ängstiglich:

»Gestrenger Herr, belehre mich,

Wie steigt man in den Himmelssaal

Und hascht den Vogel Ideal?

Mir dünkt, das ist doch nicht so leicht,

Als man nur blind in's Blaue zeigt.« –

Hierauf der Uhu spöttiglich:

»Herr Ignorant, belehr' Er sich:

Zur Seite fliegt der Ideal

Dem Wunderphönix der Moral.

Wie Dieser strahlt in Heiligkeit,

So Jener in Vollkommenheit.

Und wär' unendlich auch die Kluft

Von unsrer bis in ihre Luft,

So wird doch stets hinauf gezeigt,

Und wer nicht ihre Höh' erreicht,

Dem blasen wir den Todtenmarsch.« –

»Mit Gunst! Ist dies nicht allzu barsch? –

Schlecht wird's hiernach, muß ich gestehn,

Dem Tauber wie dem Adler gehn,

Die man doch in der Unterwelt

Für ehrenwerthe Vögel hält.

Nach dir ist diesseits jener Kluft

Der Tauber Schurk, der Adler Schuft.

Biegt man das Rohr zu stark, so bricht's,

Und wer zu viel will, der will – Nichts.« –

Jetzt wollte schon der Urselbst fort;

Doch wandt' er sich: »Nur noch ein Wort,

Erhabner Kauz! Vermuthlich hast

Du Federn von dem Himmelsgast.

Wie bliesest du wol sonst so barsch

Mir und auch dir den Todtenmarsch!

Gib mir von deiner Portion

Und nimm dafür mein Gotteslohn!

Hiernächst so komm auch selbst heraus

Aus Trojas altem Schutt und Graus,

Und zeig' im Fluge dich einmal

Nach Art des Vogels Ideal!

Denn sieh, als du bei guter Laun'

Einst über deinem Dornenzaun

Der Göttin Freude nach dich schwangst,

Da wurde mir doch etwas Angst.« –

Jetzt rief der Uhu ärgerlich:

»Herr Naseweis, belehr' Er sich!

Obgleich mein Aug' ihn nimmer sah,

So ist der Ideal doch da.

Ja, wär' er auch ein Popanz nur

Von metaphysischer Natur,

Der durch's Transcendentalreich streift,

Wo man nicht sieht, nicht hört, nicht greift,

So schreit man dennoch: »Schau', o schau'!« –

Dem Andern dunstet's dann doch blau;

Und blauer Empyreumsdunst

Ist meist der Schönheitsregler Kunst.

Sothanem Dunst, Herr Naseweis,

Geb' ich dich wie mich selber preis.

Denn stümpert gleich mein eigner Flug

Um Troja's Trümmer tief genug,

So laß ich doch im Fehmgericht

Von meines Urtheils Strenge nicht.

Ich habe recht, recht, recht, recht, recht;

Halt's Maul vor mir, du loser Knecht!« –

Der Urselbst, der nun Unrath roch,

Sprach: »Hätt' ich meine Kiele noch!«

Verlor von nun an nicht ein Wort

Und zog mit mattern Schwingen fort.

Noch gläubig flog er hin und bat

Den Papagai um guten Rath:

»Schön Papelpapchen, laß mich sehn,

Wie flieg' ich dir zu Dank recht schön?« –

Und graziös, in seinem Ring

Sich schaukelnd, sprach das bunte Ding:

»Da unter mir auf dem Altar

Nimmst du viel Gänseblümchen wahr,

Die ich im Ausland weit und breit

Einst aufgezupft und hier gestreut.

Ich trug dafür zum hohen Lohn

Dies goldne Gitterhaus davon,

Wo, wer die Bücherei besteigt,

Schön mit mir thut, mir Zucker reicht

Und mir das glatte Köpfchen kraut,

Das niedlich durch die Stäbchen schaut.

Herr Urselbst, willst du gut allhier

Dich stehn wie ich, so folge mir!

Reiß dir die deutschen Federn aus

Und füll' mit Blümlein, bunt und kraus,

Die leeren Lücken wieder an,

So wird aus dir ein ganzer Mann!« –

Der Urselbst, allzu glaubensvoll,

Sah nicht gleich ein, der Rath sei toll,

Und that, o weh! nach Papchens Wort.

Noch lahmer ging der Flug nun fort.

Nun kam ob Dem, was er gethan,

Der Reue Bitterkeit ihn an,

Und tief erseufzend vor Verdruß

Fleht er empor zum Genius;

Allein der hohe Schutzpatron

Schalt hoch herab in ernstem Ton:

»O Thor, also geschieht dir recht!

Was achtest du auf jeden Knecht

Der Meinung, die, im Thurm versteckt,

Ein kranker Uhu ausgeheckt? –

So geht's, so geht's, wenn mein Client

Vor alle Regelbuden rennt.

Meinst du, daß ich, ich, dein Apoll,

Den Flug vom Regler lernen soll?

Der Regler – so beschied sich deß

Schon Summus Aristoteles –

Der Regler zeichne meinen Flug

Wie eine Tanztour in sein Buch;

Nur lehr' er keinen Genius,

Wie er die Flügel schlagen muß! –

Für diesmal will ich dir verzeihn

Und neue Flügel dir verleihn.

Doch fliegst dem Gick- und Gackgeschlecht

Du künftig abermals nicht recht

Und achtest sein, und wendest dich

Im Zweifel nicht allein an mich,

Der ganz allein, was frommt und ehrt,

Trotz allem Kritikakel lehrt,

So lähm' ich dir auf immerdar

Den Flug, der sonst dein Volksruhm war.

Du sollst in Tiefen und auf Höhn

Natur nicht mehr dein achten sehn.

Verscheucht aus ihrem Heiligthum,

Sperr' ich dich ganz sammt deinem Ruhm,

Wie jeden faden Papagai,

Dort in die neue Bücherei

Der schönen Wissenschaften ein,

Dich deines Lebens da zu freun,

Wo dich dein Volk nicht sieht und hört,

Noch dich Vergeßnen nennt und ehrt.«

Verfügbare Informationen:
Erschienen im Buch "Gedichte"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.