Waldlieder (Gottfried Keller)
1.
Arm in Arm und Kron' an Krone steht der Eichenwald verschlungen,
Heut hat er bei guter Laune mir sein altes Lied gesungen.
Fern am Rande fing ein junges Bäumchen an sich sacht zu wiegen,
Und dann ging es immer weiter an ein Sausen, an ein Biegen;
Kam es her in mächt'gem Zuge, schwoll es an zu breiten Wogen,
Hoch sich durch die Wipfel wälzend kam die Sturmesflut gezogen.
Und nun sang und pfiff es graulich in den Kronen, in den Lüften,
Und dazwischen knarrt' und dröhnt' es unten in den Wurzelgrüften.
Manchmal schwang die höchste Eiche gellend ihren Schaft alleine,
Donnernder erscholl nur immer drauf der Chor vom ganzen Haine!
Einer wilden Meeresbrandung hat das schöne Spiel geglichen;
Alles Laub war weisslichschimmernd nach Nordosten hingestrichen.
Also streicht die alte Geige Pan der Alte laut und leise,
Unterrichtend seine Wälder in der alten Weltenweise
In den sieben Tönen schweift er unerschöpflich auf und
nieder,
In den sieben alten Tönen, die umfassen alle Lieder.
Und es lauschen still die jungen Dichter und die jungen Finken,
Kauernd in den dunklen Büschen sie die Melodien trinken.
2.
Aber auch den Föhrenwald
Lass' ich mir nicht schelten,
Wenn mein Jauchzen widerhallt
In dem sonnerhellten!
Heiter ist's und aufgeräumt,
Und das Wehn der Föhren,
Wenn die Luft in ihnen träumt,
Angenehm zu hören!
Schlanken Riesenkindern gleich
Stehn sie da im Bunde,
Jedes erbt ein kleines Reich
Auf dem grünen Grunde.
Aber oben eng verwebt,
Eine Bürgerkrone
Die Genossenschaft erhebt
Stolz zum Sonnenthrone.
Schmach und Gram umfängt sie nie,
Nimmer Lebensreue;
Schnell und mutig wachsen sie
In des Himmels Bläue.
Wenn ein Stamm im Sturme bricht,
Halten ihn die Brüder;
Und er sinkt zur Erde nicht,
Schwebend hängt er nieder.
Lieg' ich so im Farrenkraut,
Schwindet jede Grille,
Und es wird das Herz mir laut
In der Föhrenstille.
Doch der Unsichtbare lässt
Lächelnd es geschehen,
Wenn mein wildes Kirchenfest
Hier ich will begehen!