Gottfried Keller

Rhein und Nachbarlieder (Gottfried Keller)

Wie ahnungsvoll er ausgezogen,

Der junge Held, aus Kluft und Stein!

Wie hat er durstig eingesogen

Die Milch des Berges, frisch und rein!

Nun wallt der Hirtensohn hernieder,

Hin in mein zweites Heimatland:

O grüss mir all die deutschen Brüder,

Die herrlichen, längs deinem Strand!

So grüss auch all die deutschen Frauen

Und lerne ritterlichen Brauch;

Und wenn du wirst die Dome schauen,

Die krausen Käuze, grüss sie auch!

Sonst wüsst' ich niemand just zu grüssen,

Vielleicht die schlimme Lorelei

Und deiner Reben freudig Spriessen -

Den Vierzigen geh still vorbei!

Es taucht ein Aar ins Wolkenlose

Hoch über mir im Sonnenschein;

Ich werfe eine Alpenrose

Tief unten in den wilden Rhein:

Führ' nieder sie, führ' sie zu Tale,

Und eh' du trittst zum Meerestor,

Den Vettern halt, im Eichensaale,

Den harrenden, dies Zeichen vor!

Wie einst die Tochter Pharaos

Im grünen Schilf des Niles ging,

Des Auge hell, verwundrungsgross

An ihren dunkeln Augen hing;

Wie sie ihr Haupt, das goldumreifte,

Sehnsüchtig leicht flutüber bog,

Um ihren Fuss das Wasser schweifte

Und silberne Ringe zog:

So seh' ich dich, du träumrisch Kind,

Am abendlichen Rheine stehn,

Wo seine schönsten Borde sind

Und seine grünsten Wellen gehn.

Schwarz sind dein Aug' und deine Haare,

Und deine Magd, die Sonne, flicht

Darüber eine wunderbare

Krone von Abendlicht.

Ich aber wandle im Gestein

Und wolkenhoch auf schmalem Steg,

Im Abgrund schäumt der weisse Rhein

Und via mala heisst mein Weg!

Dir gilt das Tosen in den Klüften,

Nach dir schreit dieses Tannenwehn,

Bis hoch aus kalten Eiseslüften

Die Wasser jenseits niedergehn!

Da rauscht das grüne Wogenband

Des Rheines Wald und Au entlang:

Jenseits mein lieb Badenserland,

Und hier schon Schweizerfelsenhang.

Da zieht er hin, aus tiefer Brust

Mit langsam stolzem Odemzug,

Und über ihm spielt Sonnenlust

Und Eichenrauschen, Falkenflug.

Kein Schloss, kein Dom ist in der Näh',

Nur Wälder schauen in die Flut!

Von Deutschland schwimmt ein fliehend Reh

Herüber, wo es auch nicht ruht.

Und in der Stromeseinsamkeit

Vergess' ich all den alten Span,

Versenke den verjährten Streit

Und hebe hell zu singen an:

"Wohl mir, dass ich dich endlich fand,

Du stiller Ort am alten Rhein,

Wo ungestört und ungekannt

Ich Schweizer darf und Deutscher sein!

Wo ich hinüber rufen mag,

Was freudig mir das Herz bewegt,

Und wo der klare Wellenschlag

Den Widerhall zurück mir trägt!

O steigt zum Himmel, Lied und Wort!

Schwebt jubelnd ob dem tiefen Rhein!

Hier ist ein stiller Freiheitsport

Und hier wie dorten schweigt der Hain!"

Da raschelt's drüben, und der Scherg,

Zweifärbig, reckt das Ohr herein -

Ich fliehe rasch hinan den Berg,

Ade, du stiller Ort am Rhein!

Und wieder grünt der schöne Mai,

O dreimal selige Zeit!

Wie flog die Schwalbe froh herbei,

Als ob ich mitgeflogen sei,

War mir das Herz so weit!

O linde Luft im fremden Land,

Auf Bergen und Gefild!

Wie reizend fand ich diesen Strand,

Allwo mein suchend Auge fand

Ihr leichthinwandelnd Bild!

Ich sah des Sommers helle Glut

Empörtes Land durchziehn;

Sie stritten um das höchste Gut,

Geschlagen muss das freiste Blut

Aus hundert Wunden fliehn.

Kaum hört' ich in verliebter Ruh

Der schwülen Stürme Wehn;

Ich wandte mich den Blumen zu

Und sprach: "Vielleicht, mein Herz, wirst du

Ein andres Herz erstehn!"

Die Traube schwoll so frisch und blank

Und ich nahm beiderlei:

Mit ihrem Gruss den jungen Trank -

Und als die letzte Traube sank,

Da war der Traum vorbei.

Doch jene, die zur Sommerszeit

Der Freiheit nachgejagt,

Sie schwanden mit der Schwalbe weit,

Sie liegen im Friedhof eingeschneit,

Wo trüb der Nachtwind klagt.

So ist es doch betrübt zu klagen,

Wenn deutsche Mütter den Rhein hinab,

Hinab und über des Meeres Grab

Die zarten Wickelkindlein tragen

Nach freier Länder Gestaden hin,

Indes die Männer auf weiten Wegen,

Getrennt, bekümmert zum Ziele fliehn!

Ich streue meinen leichten Segen,

Fast trauernd, in dein Frauenherz;

Fahr glücklich denn rheinniederwärts

Und finde Leut' in allen Reichen,

Die gute Milch dem Kindlein reichen,

Und auf den Schiffen, wenn es schreit,

Ein Publikum, das ihm verzeiht!

Des Reimes wegen, als ein Schweizer,

Wünsch' ich dir einen nüchternen Heizer,

Der da vorsichtig, sanft und lind

Das Schiff dich tragen lässt mit dem Kind.

Ich wünsche, dass alles, was sehenswert,

Die schönste Seite zu dir kehrt,

Vor deinen Fuss frisch Rasengrün,

Dem Auge freundlicher Sterne Glühn,

In deine Hände weisses Brot

Und alle Tag Morgen und Abendrot!

Derweil sei deinem Mann der Wein

Allüberall süss, stark und rein!

Und weil die Guten dieser Erden

Noch lange Tage wandern werden,

So mache die Ferne das Herz euch satt

Mit allem Besten, was sie hat!

Sie fülle freundlich euch die Truh

Und geb' euch leichte Sorgen am Tag,

Des Abends Nachtigallenschlag,

Zur Nachtzeit aber die goldene Ruh;

Des Sommers Frucht, des Frühlings Zier,

In England immer vom besten Bier,

Den Fisch im Wasser, den Vogel der Luft,

Nur keinen Boden zu einer Gruft;

Denn in der Heimat sollt ihr sterben

Und euern Kindern die Freiheit vererben!

Auf Lüneburger Heide,

Da steht der alte Stein,

Daneben die alte Eiche,

Sie mag wohl tausendjährig sein.

Gesellen ziehn vorüber

Im Lenz mit frischem Sang;

Sie singen von deutscher Freiheit,

In heller Luft verhallt der Klang.

Da spricht der Stein zur Eiche,

Als wacht' er auf vom Traum:

"Ging nicht vorbei die Freiheit?

Wach' auf, wach' auf, du deutscher Baum!"

Und durch des Baumes Krone,

Da fährt ein Windesbraus,

Die moosigen Äste schlagen

In tausend jungen Augen aus!

Da spricht zum alten Steine

Der frisch ergrünte Baum:

"Klang nicht das Lied der Einheit?

Wie, oder war's des Windes Traum?"

Die Sänger sind gezogen

Fernhin durchs Heidekraut.

Die Eiche hat ihnen von oben

Gar lang und traurig nachgeschaut.

Den letzten Ton in Lüften

Hat sie verhallen gehört,

Dann hat sie rauschend die Äste

Vom welken Laub im Zorn geleert.

"Nun will ich wieder schlafen,"

Spricht sie zum alten Stein,

"Du wunderlicher Träumer

Sollst mir nun einmal stille sein!"

Aller Sonnenschein,

Der einen Sommer lang

Längs dem schönen Rhein

Sich um die Berge schlang,

Breitet heute aus dem Wein zumal,

Seine Glorie durch den weiten Saal.

In dem Scheine steigt

Es auf wie Rebenhöhn;

Ob dem Zauber schweigt

Der Gläser hell Getön,

Und der selbstvergessne Zecher lauscht,

Wie der Strom in seinen Ohren rauscht.

Und im Morgenschein

Durch die Gestade hin

Sieht den hellen Rhein

Er sich vorüberziehn,

Und ein Binsenkörbchen trägt die Flut,

Drin das Moseskind der Deutschen ruht.

Scharf am Felsenriff

Bricht sich der Morgenwind,

O gebrechlich Schiff,

O du verlassnes Kind!

Keine Königstochter badet heut,

Die dir schützend ihre Hände beut!

Nur die Liebe wacht

Und folgt am Uferhang,

Und ihr Auge lacht

Auf dich die Fahrt entlang,

Liebe, die das Heldenkind gebar,

Die der Freiheit reine Mutter war.

Bis die Zeit entfloh,

Wo du einst wiederkehrst

Und den Pharao

Vor Gott erbeben lehrst,

Wirst ein starker, kluger Moses sein -

O wie lang noch fliesst der grüne Rhein?

Stadt der Freude, Stadt der Töne,

Morgenfrohes, stolzes Wien,

Dessen frühlingsheitre Söhne

Nun der Freiheit Rosen ziehn:

Ja, wir haben uns versündigt,

Als wir grollten deiner Lust,

Deinem Jauchzen, das verkündigt

Eine starke, tiefe Brust!

Auf den zauberischen Wogen

Deutscher Tänze schwebtest du;

Wetter kamen schwül gezogen,

Schelmisch logst du üppige Ruh.

Eisgrau sassen tote Wächter

Vor dem klangerfüllten Haus -

Sieh, da sandtst du edle Fechter

Singend in das Frührot aus!

Mit den Flöten, mit den Geigen,

Mit Posaunen hell voran

Führe vorwärts deinen Reigen

Auf der morgenroten Bahn!

Einmal noch durch deutsche Lande

Führ' ein deutsches Kaiserbild,

Reich zu schaun im Goldgewande,

Und wir grüssen fromm und mild!

Dieser Traum wird auch verwehen

Und am alten Sternenzelt

Endlich unter die Sterne gehen

Zu der toten Götterwelt;

Und wo flimmernd Schwan und Leier

Und das Bild des Kreuzes sprühn,

Wird dereinst im stillen Feuer

Caroli magni Krone glühn!

Aber dann in tausend Wiegen,

Hier in Gold und dort in Holz,

Wird der junge Kaiser liegen,

Freier Mütter Ruhm und Stolz,

Wird als Hirt auf Blumenauen,

Im Gebirg als Jäger gehn,

Auf des Meerschiffs schwanken Tauen

Als ein braver Seemann stehn!

1.

Wir standen an rauschender, schwellender Flut,

Wir sieben Gesellen mit brausendem Blut,

Entzündet vom Weine, von Lied und von Lust,

Hol' über! ertönt es aus jauchzender Brust.

Da kam eine Schifferin lustig heran,

Sie fasste das Ruder und wandte den Kahn;

Wir sprangen mit Mutwill und Lachen hinein,

Fast war der gebrechliche Nachen zu klein.

So stiess sie vom Land in die Wogen hinaus,

Die Mitte des Stromes war weisslich und kraus;

Wir brachten mit Schaukeln das Schifflein in Not,

Doch ruhig und aufrecht regiert' sie das Boot.

Mit Schmeicheln und Scherzen belagerten wir

Die wehrlose Maid, und es hingen an ihr

Die glänzenden Blicke, doch ihnen vorbei

Schaut' sie auf die Wasser so kühl und so frei.

Zuletzt in den Lüften entbrannte die Lust,

Zu stehlen der Jungfrau das Tuch von der Brust

Und Augen und Worte wie Wellen und Wind,

Sie gaben zu schaffen dem kämpfenden Kind.

Und siegreich erreicht' sie den anderen Strand

Und liess uns mit fliegendem Busen ans Land!

Gewendet den Nachen, schon kehrt' sie zurück,

Fuhr über das Wasser mit ruhigem Blick.

2.

Es ringen die Ströme gewaltig zu Tal,

Die Deutschen nach Einheit mit Feder und Stahl;

Der Neckar erreichet den wallenden Rhein,

Doch ewig muss deutsche Zerrissenheit sein.

Die feindlichen Stämme, sie stritten im Land,

Die Preussen, die Bayern, die Hessen zu Hand

Verfochten mit blutiger Mühe den Thron,

Die Badischen sind gegen Süden geflohn.

Am Strand blieb ein Häuflein Rebellen zurück,

Die finden zum Fliehn weder Furten noch Brück',

Vom Rotweine trinken die Neige sie noch

Und bringen voll Wut ihrem Hecker ein Hoch.

Da kracht es vom Walde, da blinkt es vom Berg,

Es flüchtet der Fischer, es birgt sich der Ferg;

Ja blickt nur, ihr wilden Gesellen, euch an!

Wohl ist es um euere Köpfe getan!

Schon schimmert durch Bäume der Helm und der Speer,

Es fliegt der Husar auf der Strasse daher;

Die Schifferin drüben steht einsam am Bord,

Schon schwenkt sie das Ruder, schon ist sie am Ort.

Sie springen mit bleichen Gesichtern hinein,

Fast ist der gebrechliche Nachen zu klein;

Mit Männern und Waffen zum Sinken beschwert,

Hat sie schon das Schiff in die Fluten gekehrt.

Das ist eine düstre Gesellschaft im Boot,

Wie Blut weht am Hute die Feder so rot,

Zerrissen die Bluse, geschwärzt das Gesicht,

In den Augen flackert das Totenlicht!

Ein dürftiges Fähnlein im Winde sich rollt,

Aus schlechtem Kattun, das ist schwarz, rot und gold;

So treibt auf den Wellen der schwankende Kahn,

Die Schifferin sucht ihm die rettende Bahn.

Und wie sie die Mitte des Flusses erreicht,

Schon Kugel auf Kugel das Wasser bestreicht;

Sie schlagen ins Ruder, sie schlagen ins Schiff,

Es schweift um die Ohren der greuliche Pfiff.

Da recken die Bursche sich fluchend empor,

Und schnell fährt der schlummernde Blitz aus dem Rohr;

Sie stemmen den Fuss auf den schwebenden Rand

Und laden und senden die Kugeln ans Land.

Es rieselt im Nachen die purpurne Flut,

Die Schifferin steht in dem tanzenden Blut;

Scharf streift ihr der Tod an den Brüsten vorbei,

Das Aug' hängt am Ziele nur sicher und frei.

Schon führt sie zerschossene Leichen an Bord,

Und bleicher nur kämpfen die Lebenden fort;

Das Fähnlein verschwindet und flattert aufs neu',

Fest steht nur die Jungfrau und steuert getreu.

Und endlich gewinnt sie die schützende Bucht,

In Hohlwegen bergen die letzten die Flucht;

Wo nächtliche Diebe und Wilderer gehn,

Verliert sich des Deutschpaniers klagendes Wehn.

Die Maid aber legt jetzt das Ruder zur Ruh

Und drückt ihren Toten die Augen zu.

Sie ziehet den schwimmenden Sarg auf den Sand

Und setzt ihren Fuss auf den blutigen Rand.

Da hat doch ihr Herz ein Erbeben gefasst,

Da erst sind die rosigen Wangen erblasst;

Das ruhvolle, kühle, das klare Gemüt

Hat einmal in zitternden Flammen geglüht!

Er kam, ein alter Jägersmann,

Herab an unsrer Ströme Flut,

Er hatte kurze Hosen an

Und trug 'nen spitzen Jägerhut.

Er ging so ernst, er sah so schlicht,

Wie seiner Joppe graues Tuch;

Aus seinem Mund ging das Gerücht

Von manchem guten Weidmannsspruch.

"In seiner Tasche", dachten wir,

"Birgt er gewiss aus Alpenkraut

Für altes Leid das Elixier,

In hoher Einsamkeit gebraut.

Und wachsam, recht nach Jägerart,

Späht rings sein scharfes Aug' herum,

Und seine sichre Kugel wahrt

Vor Feinden unser Heiligtum!"

Wir holten ihn mit Kränzen ein

Und führten ihn mit frohem Mut

In unser neues Haus hinein,

Und ernsthaft zog er seinen Hut.

Nun sitzt er drin, der Spass ist aus,

Verriegelt ist die neue Tür,

Und aus dem totenstillen Haus

Blinzt nur des Jägers Rohr herfür!

Mit dem grauen Felsensaal

Und der Handvoll Eichen

Kann das ruhevolle Tal

Hundert andern gleichen.

Kommt der Strom mit seinem Ruhm

Und den stolzen Wogen

Durch das stille Heiligtum

Prächtig hergezogen,

Und auf einmal lacht es jetzt

Hell im klarsten Scheine,

Und dies Liederschwälbchen netzt

Seine Brust im Rheine!

Durch Bäume dringt ein leiser Ton,

Die Fluten hört man rauschen schon,

Da zieht er her die breite Bahn,

Ein altes Städtlein hängt daran.

Mit Türmen, Linden, Burg und Tor,

Mit Rathaus, Markt und Kirchenchor;

So schwimmt denn auf dem grünen Rhein

Der goldne Nachmittag herein.

Im Erkerhäuschen den Dechant

Sieht man, den Römer in der Hand,

Und über ihm sehr stille steht

Das Fähnlein, da kein Lüftchen geht.

Wie still! Nur auf der Klosterau

Keift fernhin eine alte Frau;

Im kühlen Schatten neben dran

Dumpf donnert's auf der Kegelbahn.

Es donnert über der Pfaffengass'

Des weiland heil'gen römischen Reiches

Wie Gottes Heerschild jähen Streiches;

Der Morgen dämmert rosig blass.

Und wie der Schlag weithin verhallt,

Wogt eine graue Nebelmasse,

Als zög' ein Heervolk seine Strasse,

Das auf den Wassern endlos wallt.

Im Zwielicht raget Dom an Dom,

An allen Fenstern lauscht's verstohlen;

Doch auf gedankenleichten Sohlen

Vorüber eilt der Schattenstrom.

Was brav und mannhaft ist, vereint

Zieht es, den letzten Streit zu schlagen;

Er klirrt zu Fuss, zu Ross und Wagen,

Zum Freunde wird der alte Feind,

Und neben Siegfried reitet Hagen.