Gewitter im Mai (Gottfried Keller)
In Blüten schwamm das Frühlingsland,
Es wogte weiss in schwüler Ruh;
Der dunkle feuchte Himmel band
Mir schwer die feuchten Augen zu.
Voll Reu und Leid hatt' ich den Mai
Gegrüsst und seinen bunten Flor;
Nun zog er mir im Schlaf vorbei,
Verträumt von dem vergrämten Tor!
Da war ein Donnerschlag geschehn,
Ein einziger; den Berg entlang
Hört' ich Erwachender vergehn
Erschrocken seinen letzten Klang!
"Steh auf! steh auf! entraffe dich
Der trägen tatenlosen Reu'!"
Durch Tal und Herz ein Schauer strich.
Das Leben blühte frisch und neu.
Zur Erntezeit
1.
Das ist die üppige Sommerzeit,
Wo alles so schweigend blüht und glüht,
Des Juli stolzierende Herrlichkeit
Langsam das schimmernde Land durchzieht.
Ich hör' ein heimliches Dröhnen gehn
Fern in der Gebirge dämmerndem Blau,
Die Schnitter so stumm an der Arbeit stehn,
Sie schneiden die Sorge auf brennender Au.
Sie sehnen sich nach Gewitternacht,
Nach Sturm und Regen und Donnerschlag,
Nach einer wogenden Freiheitsschlacht
Und einem entscheidenden Völkertag!
2.
Es deckt der weiche Buchenschlag
Gleich einem grünen Samtgewand,
So weit mein Auge reichen mag,
Das hügelübergossne Land.
Und sachte streicht darüber hin
Mit linder Hand ein leiser West,
Der Himmel hoch mit stillem Glühn
Sein blaues Aug' drauf ruhen lässt.
Mir ist, ich trag' ein grünes Kleid
Von Sammet und die weiche Hand
Von einer schweigsam holden Maid
Strich' es mit ordnendem Verstand.
Wie sie so freundlich sich bemüht,
Duld' ich die leichte Unruh' gern,
Indes sie mir ins Auge sieht
Mit ihres Auges blauem Stern.
Ein Heimatloser sputet sich
Waldeinwärts durch den grünen Plan -
Das Menschenelend krabbelt mich
Wie eine schwarze Wolfsspinn' an!