Gottfried Keller

Gaselen (Gottfried Keller)

1

Unser ist das Los der Epigonen,

Die im weiten Zwischenreiche wohnen;

Seht, wie ihr noch einen Tropfen presset

Aus den alten Schalen der Zitronen!

Geistiges ist mässig noch vorhanden,

Auch des Lebens Süsse wird noch lohnen;

Wasser flutet uns in breiten Strömen,

Brauchen es am wenigsten zu schonen:

Braut den Trank für lange Winternächte,

Bis uns blühen neue Lenzeskronen

Und der Dichtung Fahrzeug mag entrinnen

Dem Bereich der grausen Lästrygonen!

2

O heiliger Augustin im Himmelssaal,

Nun werd' ich glauben an deine Gnadenwahl;

Denn gleich dem Affen, der eine Tulpe hält,

Sah heut ich einen halten den Festpokal!

Wie hat zerreissend es mir ins Ohr gegellt,

Als er der Maid froschmäulige Küsse stahl!

Dazu schaut' er so jämmerlich in die Welt

Als stäk' er in des Fegefeuers Qual!

3

Der Herr gab dir ein gutes Augenpaar,

Du weisst damit zu blicken lieb und klar.

Mit feiner Hand hältst du in schönen Banden,

Das er dir gab, dein anmutreiches Haar.

Gleich einer Palme aus den Morgenlanden

Liess er dich wachsen, der im Anfang war;

Du aber weisst dich köstlich zu gewanden,

Dass sich verdunkelt deiner Schwestern Schar.

Wie dankbar du des Schöpfers Sinn verstanden,

Als seine Interpretin legst du dar!

4

Wenn schlanke Lilien wandelten, vom Weste leis geschwungen,

Wär' doch ein Gang, wie deiner ist, nicht gleicherweis' gelungen!

Wohin du gebst, da ist nicht Gram, da ebnet sich der Pfad,

So dacht' ich, als vom Garten her dein Schritt mir leis erklungen.

Und nach dem Takt, in dem du gehst, dem leichten, reizenden,

Hab' ich im Nachschaun, wiegend mich, dies Liedlein leis gesungen.

5

Nun schmücke mir dein dunkles Haar mit Rosen,

Den Schleier lass die Schultern klar umkosen!

In holden Züchten lass die Augen streifen,

Sie können es so wunderbar, die losen!

Du sollst an meinem Arm die Stadt durchschweifen

Und meiner Neider goldne Schar erbosen.

6

Perlen der Weisheit sind mir deine Zähne!

Wie stets ich mich nach ihrem Scheine sehne!

Denn über dem Bemühn, sie zu erblicken.

Vertrocknet mir des Kummers letzte Träne.

Indem ich dich zu holdem Lachen reize,

Vergess' ich ganz der Welt unreine Späne;

Doch um dein schönstes Lächeln zu gewinnen,

Verlieren sich in Torheit meine Pläne!

7

Ich halte dich in meinem Arm, du hältst die Rose zart,

Und eine junge Biene tief in sich die Rose wahrt;

So reihen wir uns perlenhaft an einer Lebensschnur,

So freun wir uns, wie Blatt an Blatt sich an der Rose schart.

Und glüht mein Kuss auf deinem Mund, so zuckt die Flammenspur

Bis in der Biene Herz, das sich dem Kelch der Rose paart!

8

Berge dein Haupt, wenn ein König vorbeigeht,

Tief an der Brust des Geliebten, der frei steht;

Aber dem Betteljung lass es erglänzen,

Welchen das Elend des Lebens vorbeiweht!

9

Mich tadelt der Fanatiker, in deinen Armen weich zu ruhn,

Und heischt, indem zum Streit er eilt, zu lärmen und ihm

gleich zu tun;

In tollen Sätzen springt er fort und peitscht die Luft mit

seinem Stahl

Und schwört: es geb' kein grösser Heil, als auf dem

Schlachtfeld bleich zu ruhn!

Lass laufen ihn, den Närrischen, und küsse mich noch

hundertmal,

Ich denke doch beizeiten noch vor ihm den ersten Streich zu tun!

Verbogen und zerkniffen war der vordre Rand an meinem Hut,

Und rötlich färbte er sich auch, wie es des Trinkers

Nase tut;

Und wenn ich auf der Strasse ging, so fiel ich in der Spötter

Schlingen.

Das füllte mich mit Ärger; der Chapeau war doch im ganzen

gut.

Drum dreht' ich ihn, bis hinter mir des Würdigen gelähmte

Schwingen,

Und, vorn den wohlerhaltnen Rand, trat ich einher mit frischem

Mut.

Doch weh! an meinem Rücken nun die tausend schlimmen Augen

hingen,

Ich hörte zischeln hinter mir, und in den Kopf stieg mir

das Blut

Und zwang mich, den verdammten Filz flugs wieder vorn herum zu

bringen,

Denn lieber vor als hinter mir mag ich der Tadler stille Wut.

In seinen Schatten neige dich, Schlusston von allem meinem Singen

Mein treues Lieb, und tröste mich mit deiner Lippen süsser

Glut!