Drei Ständchen (Gottfried Keller)
Schöne Bürgerin, sieh, der Mai
Flutet um deine Fenster!
Alle Seelen sind nun frei
Und es zerfliessen der Tyrannei
Grämliche Gespenster!
In die Tiefe tauche kühn,
Ewige Jugend zu werben,
Wo die Bäume des Lebens blühn
Und die Augen wie Sterne glühn,
Droben bei dir ist Sterben!
Löse der Krone güldenen Glanz
Aus den Lockenringen!
Wirf sie herab! In klingendem Tanz
Einen duftigen Rosenkranz
Wollen wir froh dir schlingen!
Fühle, du Engel, dies heilige Wehn,
Das allmächtige Treiben!
Ja, dein Himmel wird untergehn
Und ein schönerer auferstehn -
Willst du ein Engel bleiben?
Nicht wie Luna in schweigender Nacht
Küsste den träumenden Schläfer;
Komm, wenn der sonnige Tag uns lacht,
Dass das alte Lied erwacht:
Königstochter und Schäfer!
Wir haben deinen tiefen Gram vernommen
Und sind in deinen Garten still gekommen,
Wir stimmen unsere Saiten mit Bedacht,
Erwartend lauscht die laue Maiennacht.
Zu deines Ungetreuen Reu' und Leide,
Zu deiner Nachbarinnen bitterm Neide,
Zu deiner Mutter Stolz und stiller Lust,
So wollen singen wir aus voller Brust!
Zünd' an dein Licht, dass unser Lied dich ehre
Und vor dem Sternenzelt dein Leid verkläre!
Noch gibt's manch Auge, das in Treuen blitzt,
Manch Herz, das noch an rechter Stelle sitzt!
Wohl selig sind, die in der Liebe leiden,
Und ihrer Augen teure Perlen kleiden
Die weissen Wangen mehr, als Morgentau
Die Lilienkelche auf der Sommerau.
Die Liebe, die um Liebe ward betrogen,
Glänzt hoch und herrlich gleich dem Regenbogen;
Zu seinen Füssen, die in Blumen stehn,
Da liegen goldne Schüsseln ungesehn.
Schon hat die Nacht den Silberschrein
Des Himmels aufgetan;
Nun spült der See den Widerschein
Zu dir, zu dir hinan!
Und in dem Glanze schaukelt sich
Ein leichter dunkler Kahn;
Der aber trägt und schaukelt mich
Zu dir, zu dir hinan!
Das Sternlein schiesst, vom Baume fällt
Das Blust in meinen Kahn;
Nach Liebe dürstet alle Welt,
Nun, Schifflein, leg' dich an!