Die Winzerin (Gottfried Keller)
Am sonnig weissen Gartenhaus,
Da reifet Traub' an Traube,
Die sanfte Schöne tritt heraus
Und prüft die schwere Laube;
Dem blauen Blick des Weibes gleicht
Der Beeren dunkle Menge,
Wohin ihr freundlich Auge reicht,
Lacht freundliches Gedränge.
Rings lockt das noch gefangne Blut
Zu Häupten und zu Füssen,
Und sie beginnt mit stillem Mut
Zu schneiden all die süssen.
Und wie sie mit der lieben Hand
Die grünen Blätter teilet,
Hin schweifet über See und Land
Im Flug der Blick und weilet.
Gleich einer reifen Beere glänzt
Ihr feuchtes Aug' hinüber,
Wo's blaut und leuchtet unbegrenzt,
So fern, so fern herüber.
Sie lässet still und ahnungsvoll
Die vollen Trauben sinken,
Bis es in Körben reizend schwoll
Mit tausendfachem Blinken.
Und auf der Laube Marmeltisch
Zu keltern sie beginnet,
Dass aus der Kelter duftig frisch
Das Blut der Traube rinnet.
Wie muss der weissen Arme Zier
Mit holder Kraft sich mühen!
Sie keltert, bis die Wangen ihr
Gleich jungen Rosen blühen.
Sie keltert, dass der Busen fliegt
Und woget ungemessen;
Umsonst, was ihr im Sinne liegt,
Das kann sie nicht vergessen!
Umsonst - wie oft die Krüge sie
Mit starkem Moste füllet,
Sie selber hat den Durst noch nie,
Das Sehnen nie gestillet.
Sie lässt den heissen Rebensaft
Mit treuer Sorge gären,
In kühler Nacht zu milder Kraft,
Zum seltnen Wein sich klären.
Den trägt sie zu den Hütten hin
Auf Höhen und im Tale;
Sie reicht der armen Wöchnerin,
Dem kranken Greis die Schale.
So keltert sie den Edelwein
Im Herbste schon seit Jahren.
Ein Segel kommt im goldnen Schein
Des Abends fern gefahren;
Im Hafen legt das Schiff sich an,
Sie hört die Schiffer singen,
Und einen hochgemuten Mann
Sieht sie ans Ufer springen.
O schau', wie leuchtet's weit und breit,
Wie klar der Tag, die Stunde!
Und reif die schönste Lebenszeit
Küsst mich von deinem Munde!"
Da ist in seine Arme hin
Sie wonnevoll gesunken,
Und weinend hat die Winzerin
Zum ersten Mal getrunken.