Wingolf (Friedrich Gottlieb Klopstock)
(1767)
(Vgl. »Auf meine Freunde«, die ursprüngliche Fassung von
1747)
Erstes Lied
Wie Gna im Fluge, jugendlich ungestüm,
Und stolz, als reichten mir aus Iduna's Gold
Die Götter, sing' ich meine Freunde
Feyrend in kühnerem Bardenliede.
Willst du zu Strophen werden, o Haingesang?
Willst du gesetzlos, Ossians Schwunge gleich,
Gleich Ullers Tanz auf Meerkrystalle,
Frey aus der Seele des Dichters schweben?
Die Wasser Hebrus wälzten mit Adlereil
Des Zelten Leyer, welche die Wälder zwang,
Daß sie ihr folgten, die den Felsen
Taumeln, und wandeln aus Wolken lehrte.
So floß der Hebrus. Schattenbesänftiger,
Mit fortgerissen folgte dein fliehend Haupt
Voll Bluts, mit todter Stirn, der Leyer
Hoch im Getöse gestürzter Wogen.
So floß der Waldstrom hin nach dem Ozean!
So fließt mein Lied auch, stark, und gedankenvoll.
Deß spott' ich, der's mit Klüglingsblicken
Höret, und kalt von der Glosse triefet.
Den segne, Lied, ihn segne bey festlichem
Entgegengehn, mit Freudenbegrüssungen,
Der über Wingolfs hohe Schwelle
Heiter, im Haine gekränzt, hereintritt.
Dein Barde wartet. Liebling der sanften Hlyn,
Wo bliebst du? kömst du von dem begeisternden
Achäerhämus? oder kömst du
Von den unsterblichen sieben Hügeln?
Wo Scipionen, Flakkus und Tullius,
Urenkel denkend, tönender sprach, und sang,
Wo Maro mit dem Kapitole
Um die Unsterblichkeit muthig zankte!
Voll sichres Stolzes, sah er die Ewigkeit
Des hohen Marmors: Trümmer wirst einst du seyn,
Staub dann, und dann des Sturms Gespiele,
Du Kapitol! und du Gott der Donner!
Wie oder zögerst du von des Albion
Eiland herüber? Liebe sie, Ebert, nur!
Sie sind auch deutsches Stamms, Ursöhne
Jener, die kühn mit der Woge kamen!
Sey mir gegrüsset! Immer gewünscht kömst du,
Wo du auch herkömst, Liebling der sanften Hlyn!
Vom Tybris lieb, sehr lieb vom Hämus!
Lieb von Britanniens stolzem Eiland,
Allein geliebter, wenn du voll Vaterlands
Aus jenen Hainen kömst, wo der Barden Chor
Mit Braga singet, wo die Telyn
Tönt zu dem Fluge des deutschen Liedes.
Da kömst du jetzt her, hast aus dem Mimer schon
Die geistervolle silberne Flut geschöpft!
Schon glänzt die Trunkenheit des Quells dir,
Ebert, aus hellem entzücktem Auge.
»Wohin beschwerst du, Dichter, den Folgenden?
Was trank? was seh' ich? Bautest du wieder auf
Tanfana? oder, wie am Dirce
Mauren Amphion, Walhalla's Tempel?«
Die ganze Lenzflur streute mein Genius,
Der unsern Freunden rufet, damit wir uns
Hier in des Wingolf lichten Hallen
Unter dem Flügel der Freud' umarmen.
Zweytes Lied
Sie kommen! Cramern gehet in Rythmustanz,
Mit hochgehobner Leyer Iduna vor!
Sie geht, und sieht auf ihn zurücke,
Wie auf die Wipfel des Hains der Tag sieht.
Sing noch Beredtsamkeiten! die erste weckt
Den Schwan in Glasor schon zur Entzückung auf!
Sein Fittig steigt, und sanft gebogen
Schwebet sein Hals mit des Liedes Tönen!
Die deutsche Nachwelt singet der Barden Lied,
(Wir sind ihr Barden!) einst bey der Lanze Klang!
Sie wird von dir auch Lieder singen,
Wenn sie daher zu der kühnen Schlacht zeucht.
Schon hat den Geist der Donnerer ausgehaucht,
Schon wälzt sein Leib sich blutig im Rheine fort,
Doch bleibt am leichenvollen Ufer
Horchend der eilende Geist noch schweben.
Du schweigest, Freund, und siehest mich weinend an.
Ach warum starb die liebende Radikin?
Schön, wie die junge Morgenröthe,
Heiter und sanft, wie die Sommermondnacht.
Nim diese Rosen, Giseke; Velleda
Hat sie mit Zähren heute noch sanft genäßt,
Als sie dein Lied mir von den Schmerzen
Deiner Gespielin der Liebe vorsang.
Du lächelst: ja, dein Auge voll Zärtlichkeit
Hat dir mein Herz schon dazumal zugewandt,
Als ich zum erstenmal dich sahe,
Als ich dich sah, und du mich nicht kantest.
Wenn einst ich todt bin, Freund, so besinge mich!
Dein Lied voll Thränen wird den entziehenden
Dir treuen Geist noch um dein Auge,
Das mich beweint, zu verweilen zwingen.
Dann soll mein Schutzgeist, schweigend und unbemerkt,
Dich dreymal segnen! dreymal dein sinkend Haupt
Umfliegen, und nach mir, der scheidet,
Dreymal noch sehn, und dein Schutzgeist werden.
Der Thorheit Hasser, aber auch Menschenfreund,
Allzeit gerechter Rabner, dein heller Blick,
Dein froh und herzenvoll Gesicht ist
Freunden der Tugend, und deinen Freunden
Nur liebenswürdig; aber den Thoren bist
Du furchtbar! Scheuche, wenn du noch schweigst, sie schon
Zurück! Laß selbst ihr kriechend Lächeln
Dich in dem rügenden Zorn nicht irren.
Stolz, und voll Demuth, arten sie niemals aus!
Sey unbekümmert, wenn auch ihr zahllos Heer
Stets wüchs', und wenn in Völkerschaften
Auch Philosophen die Welt umschwärmten!
Wenn du nur Einen jedes Jahrhundert nimst,
Und ihn der Weisheit Lehrlingen zugesellst;
Wohl dir! Wir wollen deine Siege
Singen, die dich in der Fern erwarten.
Dem Enkel winkend stell' ich dein heilig Bild
Zu Tiburs Lacher, und zu der Houyhmeß Freund;
Da sollst du einst den Namen (wenig
Führeten ihn) des Gerechten führen!
Drittes Lied
Lied, werde sanfter, fließe gelinder fort,
Wie auf die Rosen hell aus des Morgens Hand
Der Thau herabträuft, denn dort kömt er
Fröhlicher heut und entwölkt mein Gellert.
Dich soll der schönsten Mutter geliebteste
Und schönste Tochter lesen, und reizender
Im Lesen werden, dich in Unschuld,
Sieht sie dich etwa wo schlummern, küssen.
Auf meinem Schooß, in meinen Umarmungen
Soll einst die Freundin, welche mich lieben wird,
Dein süß Geschwätz mir sanft erzählen,
Und es zugleich an der Hand als Mutter
Die kleine Zilie lehren. Des Herzens Werth
Zeigt auf dem Schauplatz keiner mit jenem Reiz,
Den du ihm gabst. Da einst die beyden
Edleren Mädchen mit stiller Großmuth,
Euch unnachahmbar, welchen nur Schönheit blüht,
Sich in die Blumen setzten, da weint' ich, Freund,
Da flossen ungesehne Thränen
Aus dem gerührten entzückten Auge.
Da schwebte lange freudiger Ernst um mich.
O Tugend! rief ich, Tugend, wie schön bist du!
Welch göttlich Meisterstück sind Seelen,
Die sich hinauf bis zu dir erheben!
Der du uns auch liebst, Olde, kom näher her,
Du Kenner, der du edel und feuervoll,
Unbiegsam beyden, beyden furchtbar,
Stümper der Tugend und Schriften hassest!
Du, der bald Zweifler, und Philosoph bald war,
Bald Spötter aller menschlichen Handlungen,
Bald Miltons, und Homerus Priester,
Bald Misanthrope, bald Freund, bald Dichter,
Viel Zeiten, Kühnert, hast du schon durchgelebt,
Von Eisen Zeiten, silberne, goldene!
Kom, Freund, kom wieder zu des Britten
Zeit, und zurück zu des Mäoniden!
Noch zween erblick' ich. Den hat vereintes Blut,
Mehr noch die Freundschaft, zärtlich mir zugesellt,
Und den des Umgangs süße Reizung,
Und der Geschmack mit der hellen Stirne.
Schmidt, der mir gleich ist, den die Unsterblichen
Des Hains Gesängen neben mir auferziehn!
Und Rothe, der sich freyer Weisheit
Und der vertrauteren Freundschaft weihte.
Viertes Lied
Ihr Freunde fehlt noch, die ihr mich künftig liebt!
Wo seyd ihr? Eile, säume nicht, schöne Zeit!
Komt, auserkohrne, helle Stunden,
Da ich sie seh', und sie sanft umarme!
Und du, o Freundin, die du mich lieben wirst,
Wo bist du? Dich sucht, Beste, mein einsames
Mein fühlend Herz, in dunkler Zukunft,
Durch Labyrinthe der Nacht hin suchts dich!
Hält dich, o Freundin, etwa die zärtlichste
Von allen Frauen mütterlich ungestüm;
Wohl dir! auf ihrem Schooße lernst du
Tugend und Liebe zugleich empfinden!
Doch hat dir Blumenkränze des Frühlings Hand
Gestreut, und ruhst du, wo er im Schatten weht;
So fühl auch dort sie! Dieses Auge,
Ach dein von Zärtlichkeit volles Auge,
Und der in Zähren schwimmende süße Blick,
(Die ganze Seele bildet in ihm sich mir!
Ihr heller Ernst, ihr Flug zu denken,
Leichter als Tanz in dem West, und schöner!)
Die Mine, voll des Guten, des Edlen voll,
Dieß vor Empfindung bebende sanfte Herz!
Dieß alles, o die einst mich liebet!
Dieses geliebte Phantom ist mein! du,
Du selber fehlst mir! Einsam und wehmuthsvoll
Und still und weinend irr' ich, und suche dich,
Dich, Beste, die mich künftig liebet,
Ach die mich liebt! und noch fern von mir ist!
Fünftes Lied
Sahst du die Thräne, welche mein Herz vergoß,
Mein Ebert? Traurend lehn' ich auf dich mich hin.
Sing mir begeistert, als vom Dreyfuß,
Brittischen Ernst, daß ich froh wie du sey!
Doch jetzt auf Einmal wird mir das Auge hell!
Gesichten hell, und hell der Begeisterung!
Ich seh' in Wingolfs fernen Hallen
Tief in den schweigenden Dämmerungen,
Dort seh' ich langsam heilige Schatten gehn!
Nicht jene, die sich traurig von Sterbenden
Erheben, nein, die, in der Dichtkunst
Stund' und der Freundschaft, um Dichter schweben!
Sie führet, hoch den Flügel, Begeistrung her!
Verdeckt dem Auge, welches der Genius
Nicht schärft, siehst du sie, seelenvolles,
Ahndendes Auge des Dichters, du nur!
Drey Schatten kommen! neben den Schatten tönts
Wie Mimers Quelle droben vom Eichenhain
Mit Ungestüm herrauscht, und Weisheit
Lehret die horchenden Wiederhalle!
Wie aus der hohen Drüden Versamlungen,
Nach Braga's Telyn, nieder vom Opferfels,
Ins lange tiefe Thal der Waldschlacht,
Satzungenlos sich der Barden Lied stürzt!
Der du dort wandelst, ernstvoll und heiter doch,
Das Auge voll von weiser Zufriedenheit,
Die Lippe voll von Scherz; (Es horchen
Ihm die Bemerkungen deiner Freunde,
Ihm horcht entzückt die feinere Schäferin,)
Wer bist du, Schatten? Ebert! er neiget sich
Zu mir, und lächelt. Ja er ist es!
Siehe der Schatten ist unser Gärtner!
Uns werth, wie Flakkus war sein Quintilius,
Der unverhüllten Wahrheit Vertraulichster,
Ach kehre, Gärtner, deinen Freunden
Ewig zurück! Doch du fliehest fern weg!
Fleuch nicht, mein Gärtner, fleuch nicht! du flohst ja nicht,
Als wir an jenen traurigen Abenden,
Um dich voll Wehmuth still versammelt,
Da dich umarmten, und Abschied nahmen!
Die letzten Stunden, welche du Abschied nahmst,
Der Abend soll mir festlich auf immer seyn!
Da lernt' ich, voll von ihrem Schmerze,
Wie sich die wenigen Edlen liebten!
Viel Mitternächte werden noch einst entfliehn.
Lebt sie nicht einsam, Enkel, und heiligt sie
Der Freundschaft, wie sie eure Väter
Heiligten, und euch Exempel wurden!
Sechstes Lied
In meinem Arme, freudig, und weisheitsvoll,
Sang Ebert: Evan, Evoe Hagedorn!
Da tritt er auf dem Rebenlaube
Muthig einher, wie Lyäus, Zeus Sohn!
Mein Herz entglühet! herschend und ungestüm
Bebt mir die Freude durch mein Gebein dahin!
Evan, mit deinem Weinlaubstabe
Schone mit deiner gefüllten Schale!
Ihn deckt' als Jüngling eine Lyäerin,
Nicht Orpheus Feindin, weislich mit Reben zu!
Und dieß war allen Wassertrinkern
Wundersam, und die in Thälern wohnen,
In die des Wassers viel von den Hügeln her
Stürzt, und kein Weinberg längere Schatten streckt.
So schlief er, keinen Schwätzer fürchtend,
Nicht ohne Götter, ein kühner Jüngling.
Mit seinem Lorber hat dir auch Patareus
Und eingeflochtner Myrte das Haupt umkränzt!
Wie Pfeile von dem goldnen Köcher,
Tönet dein Lied, wie des Jünglings Pfeile
Schnellrauschend klangen, da der Unsterbliche
Nach Peneus Tochter durch die Gefilde flog!
Oft wie des Satyrs Hohngelächter,
Als er den Wald noch nicht laut durchlachte.
Zu Wein und Liedern wähnen die Thoren dich
Allein geschaffen. Denn den Unwissenden
Hat, was das Herz der Edlen hebet,
Stets sich in dämmernder Fern verloren!
Dir schlägt ein männlich Herz auch! Dein Leben tönt
Mehr Harmonieen, als ein unsterblich Lied!
In unsokratischem Jahrhundert
Bist du für wenige Freund' ein Muster!
Siebentes Lied
Er sang's. Jetzt sah ich fern in der Dämmerung
Des Hains am Wingolf Schlegeln aus dichtrischen
Geweihten Eichenschatten schweben,
Und in Begeistrung vertieft und ernstvoll,
Auf Lieder sinnen. Tönet! da töneten
Ihm Lieder, nahmen Geniusbildungen
Schnell an! In sie hatt' er der Dichtkunst
Flamme geströmt, aus der vollen Urne!
Noch Eins nur fehlt dir! falt' auch des Richters Stirn,
Daß, wenn zu uns sie etwa vom Himmel kömt
Die goldne Zeit, der Hain Thuiskons
Leer des undichtrischen Schwarmes schatte.
Achtes Lied
Kom, goldne Zeit, die selten zu Sterblichen
Heruntersteiget, laß dich erflehn, und kom
Zu uns, wo dir es schon im Haine
Weht, und herab von dem Quell schon tönet!
Gedankenvoller, tief in Entzückungen
Verloren, schwebt bey dir die Natur. Sie hat's
Gethan! hat Seelen, die sich fühlen,
Fliegen den Geniusflug, gebildet.
Aus allen goldnen Zeiten begleiten dich,
Natur, die Dichter! Dichter des Alterthums!
Der späten Nachwelt Dichter! Segnend
Sehn sie ihr heilig Geschlecht hervorgehn.