Friedrich Gottlieb Klopstock

Der Segen (Friedrich Gottlieb Klopstock)

(1800)

                   

   

Schon lange ruhst du, liebende Julia,

In deinem Grabe, du, die den Vater mir

Deinen ersten, und bald

Einzigen Sohn gebahr.

Viel Einsiedler der Gruft deckt die Vergessung auch.

Nie vergaß ich dich, niemals vergess' ich dich!

Dein Liebling war ich, und du erhobst mich,

Durch deinen frommen Wandel, zuerst zu Gott.

Ich kam von der Limmat, flog zu den Belten.

Verlassen hatt' ich dich jüngst noch frisches

Alters; allein wehe mir, (ich fühl' es noch jetzt!)

Wie fand ich dich wieder!

Die bleichere saß, den Fuß auf doppelte

Teppiche hingesenkt,

Den Stab in der Hand, starrend das Auge; die Stimme war

Nicht Stimme. Nur einzelne kalte Wort' athmete sie:

Nahm an dem Schicksal ihres so sehr und so lang geliebten

Enkels nicht Antheil mehr. Durch den Vater froh,

Froh durch die Mutter, wanket' ich oft zu ihr,

Und saß dann mit ihr an ihrem Grabe.

Der Scheidung finsterer Abend kam.

Er wurd' ihr verborgen,

Aber von ihr geweissagt.

Schon war ich wankend aufgestanden,

Schnell stand auch sie,

Kaum bedürfend des stützenden Stabes!

Sie richtete hoch das Haupt auf.

Ihr Auge war

Himmlische Worte strömten ihr!

In der Wonne und der Wehmut sank ich beynah;

Aber sie wäre ja mitgesunken:

Dieß nur hielt den erschütterten.

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3-15-001391-7
Erschienen im Buch "Oden"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.