Friedrich Gottlieb Klopstock

An Ebert (Friedrich Gottlieb Klopstock)

         

Ebert, mich scheucht ein trüber Gedanke vom blinkenden Weine

    Tief in die Melancholey!

Ach du redest umsonst, vordem gewaltiges Kelchglas,

    Heitre Gedanken mir zu!

Weggehn muß ich, und weinen! vielleicht, daß die lindernde Thräne

    Meinen Gram mir verweint.

Lindernde Thränen, euch gab die Natur dem menschlichen Elend

    Weis' als Gesellinnen zu.

Wäret ihr nicht, und könnte der Mensch sein Leiden nicht weinen;

    Ach! wie ertrüg' er es da!

Weggehn muß ich, und weinen! Mein schwermuthsvoller Gedanke

    Bebt noch gewaltig in mir.

Ebert! sind sie nun alle dahin! deckt unsere Freunde

    Alle die heilige Gruft;

Und sind wir, zween Einsame, dann von allen noch übrig!

    Ebert! verstummst du nicht hier?

Sieht dein Auge nicht trüb' um sich her, nicht starr ohne Seele?

    So erstarb auch mein Blick!

So erbebt' ich, als mich von allen Gedanken der bängste

    Donnernd das erstemal traf!

Wie du einen Wanderer, der, zueilend der Gattin,

    Und dem gebildeten Sohn,

Und der blühenden Tochter, nach ihrer Umarmung schon hinweint,

    Du den, Donner, ereilst,

Tödtend ihn fassest, und ihm das Gebein zu fallendem Staube

    Machst, triumphirend alsdann

Wieder die hohe Wolke durchwandelst; so traf der Gedanke

    Meinen erschütterten Geist,

Daß mein Auge sich dunkel verlor, und das bebende Knie mir

    Kraftlos zittert', und sank.

Ach, in schweigender Nacht, ging mir die Todtenerscheinung,

    Unsre Freunde, vorbey!

Ach in schweigender Nacht erblickt' ich die offenen Gräber,

    Und der Unsterblichen Schaar!

Wenn mir nicht mehr das Auge des zärtlichen Giseke lächelt!

    Wenn, von der Radikin fern,

Unser redlicher Cramer verwest! wenn Gärtner, wenn Rabner

    Nicht sokratisch mehr spricht!

Wenn in des edelmüthigen Gellert harmonischem Leben

    Jede Saite verstummt!

Wenn, nun über der Gruft, der freye gesellige Rothe

    Freudegenossen sich wählt!

Wenn der erfindende Schlegel aus einer längern Verbannung

    Keinem Freunde mehr schreibt!

Wenn in meines geliebtesten Schmidts Umarmung mein Auge

    Nicht mehr Zärtlichkeit weint!

Wenn sich unser Vater zur Ruh, sich Hagedorn hinlegt;

    Ebert, was sind wir alsdann,

Wir Geweihten des Schmerzes, die hier ein trüberes Schicksal

    Länger, als Alle sie ließ?

Stirbt dann auch einer von uns; (mich reißt mein banger Gedanke

    Immer nächtlicher fort!)

Stirbt dann auch Einer von uns, und bleibt nur Einer noch übrig;

    Bin der Eine dann ich;

Hat mich dann auch die schon geliebt, die künftig mich liebet,

    Ruht auch sie in der Gruft;

Bin dann ich der Einsame, bin allein auf der Erde:

    Wirst du, ewiger Geist,

Seele zur Freundschaft erschaffen, du dann die leeren Tage

    Sehn, und fühlend noch seyn?

Oder wirst du betäubt zu Nächten sie wähnen und schlummern,

    Und gedankenlos ruhn?

Aber du könntest ja auch erwachen, dein Elend zu fühlen,

    Leidender, ewiger Geist.

Rufe, wenn du erwachst, das Bild von dem Grabe der Freunde,

    Das nur rufe zurück!

O ihr Gräber der Todten! ihr Gräber meiner Entschlafnen!

    Warum liegt ihr zerstreut?

Warum lieget ihr nicht in blühenden Thalen beysammen?

    Oder in Hainen vereint?

Leitet den sterbenden Greis! Ich will mit wankendem Fuße

    Gehn, auf jegliches Grab

Eine Zypresse pflanzen, die noch nicht schattenden Bäume

    Für die Enkel erziehn,

Oft in der Nacht auf biegsamen Wipfeln die himlische Bildung

    Meiner Unsterblichen sehn,

Zitternd gen Himmel erheben mein Haupt, und weinen, und sterben!

    Senket den Todten dann ein

Bey dem Grabe, bey dem er starb! nim dann, o Verwesung!

    Meine Thränen, und mich!

Finstrer Gedanke, laß ab! laß ab in die Seele zu donnern!

    Wie die Ewigkeit ernst,

Furchtbar, wie das Gericht, laß ab! die verstummende Seele

    Faßt dich, Gedanke, nicht mehr!

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3-15-001391-7
Erschienen im Buch "Oden"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.