Friedrich Schiller

Klage der Ceres (Friedrich Schiller)

         

    Ist der holde Lenz erschienen?

Hat die Erde sich verjüngt?

Die besonnten Hügel grünen,

Und des Eises Rinde springt.

Aus der Ströme blauem Spiegel

Lacht der unbewölkte Zeus,

Milder wehen Zephyrs Flügel,

Augen treibt das junge Reis.

In dem Hain erwachen Lieder,

Und die Oreade spricht:

Deine Blumen kehren wieder,

Deine Tochter kehret nicht.

    Ach, wie lang ist's, daß ich walle

Suchend durch der Erde Flur!

Titan, deine Strahlen alle

Sandt' ich nach der theuren Spur;

Keiner hat mir noch verkündet

Von dem lieben Angesicht,

Und der Tag, der Alles findet,

Die Verlorne fand ich nicht.

Hast du, Zeus, sie mir entrissen?

Hat, von ihrem Reiz gerührt,

In des Orkus schwarzen Flüssen

Pluto sie hinabgeführt?

    Wer wird nach dem düstern Strande

Meines Grames Bote sein?

Ewig stößt der Kahn vom Lande,

Doch nur Schatten nimmt er ein.

Jedem sel'gen Aug' verschlossen

Bleibt das nächtliche Gefild,

Und so lang der Styx geflossen,

Trug er kein lebendig Bild.

Nieder führen tausend Steige,

Keiner führt zum Tag zurück;

Ihr Thränen bringt kein Zeuge

Vor der bangen Mutter Blick.

    Mütter, die aus Pyrrhas Stamme,

Sterbliche, geboren sind,

Dürfen durch des Grabes Flamme

Folgen dem geliebten Kind;

Nur was Jovis Haus bewohnet,

Nahet nicht dem dunkeln Strand,

Nur die Seligen verschonet,

Parzen, eure strenge Hand.

Stürzt mich in die Nacht der Nächte

Aus des Himmels goldnem Saal!

Ehret nicht der Göttin Rechte,

Ach, sie sind der Mutter Qual!

    Wo sie mit dem finstern Gatten

Freudlos thronet, stieg' ich hin,

Träte mit den leisen Schatten

Leise vor die Herrscherin.

Ach, ihr Auge, feucht von Zähren,

Sucht umsonst das goldne Licht,

Irret nach entfernten Sphären,

Auf die Mutter fällt es nicht,

Bis die Freude sie entdecket,

Bis sich Brust mit Brust vereint

Und, zum Mitgefühl erwecket,

Selbst der rauhe Orkus weint.

    Eitler Wunsch! verlorne Klagen!

Ruhig in dem gleichen Gleis

Rollt des Tages sichrer Wagen,

Ewig steht der Schluß des Zeus.

Weg von jenen Finsternissen

Wandt' er sein beglücktes Haupt;

Einmal in die Nacht gerissen,

Bleibt sie ewig mir geraubt.

Bis des dunkeln Stromes Welle

Von Aurorens Farben glüht,

Iris mitten durch die Hölle

Ihren schönen Bogen zieht.

    Ist mir nichts von ihr geblieben?

Nicht ein süß erinnernd Pfand,

Daß die Fernen sich noch lieben,

Keine Spur der theuren Hand?

Knüpfet sich kein Liebesknoten

Zwischen Kind und Mutter an?

Zwischen Lebenden und Todten

Ist kein Bündniß aufgethan?

Nein, nicht ganz ist sie entflohen!

Nein, wir sind nicht ganz getrennt!

Haben uns die ewig Hohen

Eine Sprache doch vergönnt!

    Wenn des Frühlings Kinder sterben,

Wenn von Nordes kaltem Hauch

Blatt und Blume sich entfärben,

Traurig steht der nackte Strauch,

Nehm' ich mir das höchste Leben

Aus Vertumnus' reichem Horn,

Opfernd es dem Styx zu geben,

Mir des Samens goldnes Korn.

Trauernd senk' ich's in die Erde,

Leg' es an des Kindes Herz,

Daß es eine Sprache werde

Meiner Liebe, meinem Schmerz.

    Führt der gleiche Tanz der Horen

Freudig nun den Lenz zurück,

Wird das Todte neu geboren

Von der Sonne Lebensblick.

Keine, die dem Auge starben

In der Erde kaltem Schooß,

In das heitre Reich der Farben

Ringen sie sich freudig los.

Wenn der Stamm zum Himmel eilet,

Sucht die Wurzel scheu die Nacht;

Gleich in ihre Pflege theilet

Sich des Styx, des Äthers Macht.

    O so laßt euch froh begrüßen,

Kinder der verjüngten Au!

Euer Kelch soll überfließen

Von des Nektars reinstem Thau.

Tauchen will ich eure Strahlen,

Mit der Iris schönstem Licht

Will ich eure Blätter malen,

Gleich Aurorens Angesicht.

In des Lenzes heiterm Glanze

Lese jede zarte Brust,

In des Herbstes welkem Kranze

Meinen Schmerz und meine Lust.

Verfügbare Informationen:
Erschienen im Buch "Schillers Sämmtliche Werke, Erster Band"
Herausgeber: J. G. Cotta'sche Buchhandlung