Gedichte - Vorworte (Friederike Kempner)
Wenn ich der zweiten Auflage meiner Gedichte einige Worte voranschicken soll, so sind es Worte des
Dankes an die liebe Lesewelt, welche der ersten Auflage ein so reges Interesse entgegenbrachte,
daß nach so kurzer Zeit eine zweite notwendig geworden ist.
Es freute mich unbeschreiblich, daß aus allen Gegenden Deutschlands, von nah und fern,
Anfragen und das Verlangen nach diesen Gedichten an mich schriftlich ausgesprochen wurden. Ich bin
stolz darauf und ganz besonders davon gerührt, daß alle Farben und Parteien dabei
vertreten waren; scheint es doch, als wenn jeder im Innern fühlte, daß es Aufgabe und
Ziel der Poesie ist: die Wahrheit für alle zu veranschaulichen, und durch ihren Sieg
dereinst alle zu versöhnen.
Friederikenhof, 1882. Die Verfasserin
Vorwort zur 3. Auflage
Der dritten Auflage meiner Gedichte, denen ich viele neue hinzugefügt, schicke ich einige Worte
des freudigsten Dankes voraus: Dank der liebenswürdigen Lesewelt, welche die 2. Auflage
1882 erschienen, schon im Mal 1883 vergriffen hatte!
Möge dieser dritten dieselbe Gunst zu teil werden, eine Gunst, die das Glück und den Trost
der Verfasserin ausmacht.
Breslau, im April 1884. Die Verfasserin
Vorwort zur 4. Auflage
Nachdem die dritte Auflage dieser Gedichte, denen ich eine Anzahl neue zur vierten Auflage
beifüge, in etwa vier Monaten vergriffen, kann ich nur meinen lebhaftesten Dank wiederholen und
nochmals sagen, daß dieses Wohlwollen und diese Sympathie mich rührt und wahrhaft
beglückt. Ja, das Bewußtsein, meine Gedanken geteilt zu wissen, erhebt mich zu der
freudigen Erwartung, daß auch meine humanen Bestrebungen sich in die Herzen der Menschen immer
mehr Bahn brechen und den Sieg über Inhumanität und Unverstand davontragen werden.
Berlin, im November 1884.
Die Verfasserin
Vorwort zur 5. Auflage
Ich habe bei dieser fünften Ausgabe meiner Gedichte wiederum für das überreiche
Wohlwollen, welches der vierten Auflage zu teil geworden ist, nur zu danken. Es fehlte freilich auch
nicht an anonymer Feindschaft, ja an Haß und Verfolgung niedrigster und widrigster Art, und
wie mancher Beherrscher von Rußland, sah ich mich fast täglich von anonymen Briefen
heimgesucht, eine Ehre, die ich gar nicht erwartet hätte, die ich aber zu würdigen
wußte. Denn gibt es in der Tat ein einziges Streben oder eine einzige Schrift, welche etwas
will und nicht angefeindet worden wäre?
Und so kam ich zu der Überzeugung, daß denn doch hie und da ein vorurteilsloses,
harmloses Gedicht, ein humaner Gedanke, objektiv zur Anschauung gebracht, frei von aller
Parteilichkeit, gezündet, d.h. manchen Bösewicht aufgestachelt haben müsse, so
daß er zu Dynamit und Gift greifen wollte. Aber Dynamit und Gift sind schlechte Waffen, die
sich überlebt haben, und die unparteiische Wahrheit trifft beides nicht, und so hat denn das
liebenswürdige Publikum diese gemeinen Angriffe kaum seiner Entrüstung gewürdigt und
in seiner reichen Gunst sind die Gedichte ein bleibendes Buch geworden.
Friederikenhof, den 12. Oktober 1887.
Die Verfasserin
Zur 6. Auflage
Mit regem Dankgefühl
Send' ich euch wieder mal
Euch Blätter ohne Zahl
Ins menschliche Gewühl!
Bringt meinen Gruß der Welt
Und habt ihr ihn bestellt,
Verfolget euer Ziel
Und gleichsam wie im Spiel
Verkündet allzumal:
Auf Bergen und im Tal,
In Hütte und Königssaal,
Der Schönheit Ideal,'
Der Wahrheit Erz und Stahl,
Der Tugend Götterstrahl!
Friederikenhof, im Januar 1891.
Die Verfasserin
Vorwort zur 7. Auflage
Der Herr Verleger wünscht ein Vorwort zu dieser neuen Auflage und gern rede ich zu denen,
welche mich gelesen haben, und welche mich noch oft lesen werden. Dank sei ihnen vor allen für
eine Sympathie, eine Übereinstimmung, welche mich beglücken, und mich hoffen lassen,
daß auch die »neuen Gedichte«, welche ich dieser Auflage eingereiht habe, den Weg
zum Herzen der Menschen finden werden. Schrieb ich sie doch in unsrer neuesten, oft so
stürmischen Zeit gleichsam als einen Erguß lyrischen Schmerzes, der sich jedoch
bald in heit're Zuversicht auflöste, mit dieser optimistischen heiteren Zuversicht hoffe ich
auch, daß die aufbrausenden Partei-Leidenschaften sich bald, wie oftmals die Wellen des Meeres
plötzlich beruhigen und zum Wohle unseres Vaterlandes und der ganzen Menschheit der Liebe zu
ihm und ihr Platz machen werden!
Ich hätte manches zu sagen, allein ein Telegramm verlangt das Vorwort, und so will ich
mich damit begnügen, hier nur einer kleinen Episode aus dem Beginn meiner schriftstellerischen
Laufbahn zu gedenken, nämlich meiner ersten Gedichte. Ich hielt sie alle versteckt in der fast
fieberhaften Unruhe der Ungewißheit, ob ich in Wahrheit eine Dichterin und es wert sei, zu den
Herzen der Menschen zu reden, beschloß ich, einem unsrer »größten«
Gelehrten, einem Prof. der Botanik und Präsidenten der Akademie der Naturforscher meine Verse
zu zeigen, ich wandelte mit hochklopfendem Herzen die langen Oderbrücken der Stadt Breslau
entlang nach dem botanischen Garten und wartete lange im Studierzimmer, bis der berühmte
achtzigjährige Mann durch den Garten seinem Hause zuschritt. Er fragte freundlich nach meinem
Wunsche, ich sagte etwas stockend: ich möchte gern wissen, ob ich wirklich Talent habe
und wurde dabei über und über rot; er sah mich erstaunt an, da ich fast noch ein Kind war,
und lächelte fein, bat es sich aber aus, daß ich ihm die wenigen Gedichte dalassen
möge, er würde sie gründlich prüfen. Bald darauf erhielt ich ein Schreiben von
ihm, dasselbe lautet:
»Sie haben mir mehrere Gedichte zur Beurteilung vorgelegt und mir dadurch das ehrenvolle
Vertrauen auf den Takt meines Kunsturteils bewiesen, zugleich aber auch sich selbst ein ehrenvolles
Zeugnis ausgestellt, nämlich das, daß es Ihnen ernstlich um ein rücksichtslos
ehrliches Urteil zu tun war, weil Sie sich so ziemlich einen von denen aussuchten, denen es am
wenigsten einfallen kann, auf Kosten der Wahrheit galant erscheinen zu wollen.
Ich habe mehrere Ihrer Gedichte mit steigender Teilnahme mehr als einmal gelesen und lege mir hier
vor Ihren Augen, was ich gern auch mündlich tun würde, Rechenschaft über den Eindruck
ab, den sie auf mich gemacht haben; diese Gedichte erscheinen mir als lyrische Dichtungen im wahren
Sinne des Wortes, nämlich als Ergüsse eines bewegten, sittlich starken, der Natur offenen,
seiner Zeit und ihren großen Ideen gewachsenen, für das Menschliche im Menschen
männlich begeisterten Herzens, das seine Empfindungen unmittelbar und mit lebensfrischen Sinnen
aus seiner lebendigen Welt schöpft, diese in sich, gleichsam als die eigene Seele, wiederfindet
und nun ohne zu grübeln oder beifallssüchtig zu künsteln, rasch wie einen liebenden,
bewundernden , richtenden, strafenden Erguß der Leidenschaft auf seine Gefahr rücksichts-
und furchtlos hinaus ruft ins Volk, als rede er auf Geheiß der Wahrheit von der Tribüne.
In dieser Leidenschaftlichkeit des lyrischen Ergusses finde ich den Grundzug Ihrer Gedichte, den
Grund ihrer Schönheiten wie ihrer Mängel. Lassen Sie doch ja diese Mängel stehen! Sie
würden mit jedem solchen weggewischten Fleckchen den Glanz einer Schönheit verschleiern,
erwarten Sie nach dieser Erklärung kein detailliertes Urteil von mir. In den Seelen schlummern
Taten, die nur erst Gedichte sind und diese werden sich vielleicht schämen vor den kecken
Wagnissen solcher Dichtungen, die vielmehr Opfergaben und Taten hingebender Liebe sind. Ihre
Naturschilderungen sind groß durch ihre Leidenschaftlichkeit, und die zarteste
Bewunderung des Schönen in der Natur wie im Menschenleben. Am liebsten sind Sie mir freilich,
wenn ich so sagen darf, in Ihren Berichten aus den Gebieten der Hölle, des Verrats, der Flucht
des Menschlichen unter den Geiselhieben der entfesselten dämonischen Gewalt, und da, wo Sie zu
Gericht sitzen über den Abtrünnigen, die Sie noch einmal herbeibeschwören, um ihnen
den Text zu lesen.
Ich habe übrigens mehrere Ihrer Gedichte meinem Freunde G. mitgeteilt, der zwar die Feile
mehr liebt, als ich, der aber doch im besten mit mir einig und wahrhaft warm wurde. Er hat uns
neulich seine »Göttin der Vernunft« gelesen ein kerniges, tragisches
Epos.«
Ich grüße Sie usw.
Ich war überaus glücklich über den Empfang dieses Schreibens, dessen Schönheit
mich veranlaßte, seiner hier zu gedenken.
Breslau, den 16. Oktober 1894.
Die Verfasserin
Vorwort zur 8. Auflage
meiner Gedichte
Indem ich Dir, lieber Leser und schöne Leserin, zum achten Male meine innersten Gefühle
und Gedanken vorlege, hoffe ich, daß keine so große Pause zwischen dieser und der
neunten Auflage eintreten wird, wie zwischen der siebenten und der heutigen.
Freilich bestand die siebente Auflage, welche Ende des Jahres 1894 erschienen ist, aus mehreren
tausenden Exemplaren und mehrere Kriege: der Spanisch-Amerikanische, der Chinesische, der
Transvaalkrieg und mancherlei Bürgerkriege, gehässige, ja blutige, füllten
während dieser Zeit die Welt und zogen ihre Blicke von der schönen Literatur ab, um sie
auf das wilde Element des Streites und der Parteilichkeit zu lenken. Auch an anarchistischen
Meuchelmorden, konfessionellen und religiösen Wirren und Verleumdungen fehlte es nicht in
dieser Zeit und sie beschäftigten zur Genüge die Leser; ja die beiden Ungeheuer: Unglaube
und Aberglaube, die sich leider um die Herrschaft der Welt streiten, hielten die Gemüter fern
von der harmlosen reinen Freude der Poesie, um sie in Angst und Spannung zu versetzen.
Es war eine böse, widerwärtige Zeit und die Überzeugung der Verfasserin von der
Vortrefflichkeit der menschlichen Natur an und für sich, welche sie in ihrem
»Büchlein von der Menschheit« ausgesprochen, hatte so manchen Stoß erlitten.
Das war nicht die Welt, die sie im Rahmen ihrer Mutter gesehen und träumen lernte, das war kein
Abglanz jener Menschen liebenden Größen, die ihr schon in der Kindheit und in
frühester Jugend begegneten, nichts von den Anschauungen Herrmann Wilhelm und Marie Boedekers,
da war keine Spur von der uneingeschränktesten Toleranz der beiden opferfreudigen Priester
Franz und Anton Marson, kein Schatten von den selbstlosen, ja großmütigen Ansichten Nees
von Esenbeck, der die Brüderlichkeit praktisch einführen und Preußen die
Leopoldinisch-Carolinische Akademie der Naturforscher trotz allem nicht entziehen wollte, und keine
Ähnlichkeit von der weisen, attischen Klarheit des großen Boeckh und seiner Tochter, Frau
Professor Gneist. Es war eine harte Zeit der Unliebe. Damals schrieb sie ihre Broschüre
»Ein Wort in harter Zeit« und mißmutig, wie s. Z. Grillparzer, zog sie sich
in die Einsamkeit zurück und manchmal sagte sie zu sich selber: »Wie schwer wird es einem
gemacht, das Gute zu tun.« Aber verzagt hat sie nicht, weder an der Menschlichkeit noch an der
Erreichung des Guten und niemals an der Gnade Gottes, der sie das große Ziel zum Wohle aller,
welches sie trotz mancher Stürme verfolgte, und das sie für ihr eigenes Wohl und Wehe fast
unempfindlich macht, ganz nach ihrer Überzeugung erreichen lassen wird. Das walte Gott.
Nun, lieber Leser und schöne Leserin, überreiche ich Dir mit dieser neuen Ausgabe auch
mehrere neue Gedichte, auch sie kommen von Herzen, wie alle meine Gedichte und werden Dir daher, wie
ich hoffe, auch zu Herzen gehen.
Möge mit ihrem Erscheinen auch eine ideellere, wahrhaft humane Zeit eintreten.