Tingel-Tangel (Frank Wedekind)
Trauert nicht, ihr Völkerscharen,
Ob der schweren Zeit der Not.
Packt das Leben bei den Haaren.
Morgen ist schon mancher tot.
Küssen, um geküßt zu werden,
Lieben, um geliebt zu sein,
Gibt's ein schöner Los auf Erden
Für ein artig Mägdelein?
Ja, die Liebe ist mein Credo,
Meines Lebens Inbegriff,
Und so werd' ich zum Torpedo,
Ach, für manches Panzerschiff.
Ach, mir ist zumut, als stünde
Mir geschrieben im Gesicht:
Eine grauenvollre Sünde
Als die Tugend gibt es nicht!
Fürchte nichts, mein süßer Schlingel;
In der schweren Not der Zeit
Freut der Mensch sich nur im Tingel-
Tangel seiner Menschlichkeit.
Bei dem allgemeinen Mangel
Idealer Seelenglut
Trefft ihr nur im Tingel-Tangel,
Was das Herz erheben tut.
Saht ihr einen süßren Engel
Je zu eurem Zeitvertreib
Als ein hübsches Tangel-Tengel-
Tingel-Tongel-Tungel-Weib?
Tuben schmettern, Pauken dröhnen,
Schrille Pfeifen gellen drein,
Spenden dem Gesang der Schönen
Ihre Jubel-Melodein.
Wie die Sturmflut, unermüdlich,
Tönt des Konterbaß Gebrumm;
Und die Schöne lächelt friedlich
Nieder auf das Publikum.
Ach, da werden wider Willen
Aller Augen patschenaß,
Kneifer türmen sich auf Brillen,
Und davor das Opernglas.
Trommelwirbel und Geklingel!
Lauter dröhnt der Pauken Ton;
Und im Taumel tanzt die Tingel-
Tangel-Tänzerin davon.
Und nun schwillt das dumpfe Gröhlen
Zum Radau bei Alt und Jung,
Und aus tausend Männerkehlen
Wälzt sich die Begeisterung.
Lang noch hallen tiefgestöhnte
Liebesklagen ringsumher;
Doch umsonst, das heißersehnte
Mädchen kokettiert nicht mehr.