Frank Wedekind

Herr von der Heydte (Frank Wedekind)

Zur Gitarre gesungen

         

Vor dem Münchner Zensor

Herrn von der Heydte,

Macht nun auch Lessing

Moralisch Pleite.

Jüngst ward durch einen

Grausam roten

Zensurstrich Minna

Von Barnhelm verboten.

Denn alles, um das sich

Dies Schandstück dreht,

Ist heillose, freche

Perversität.

Die Minna, längst ahnt es

Der Zensor schon

Ist eine verkappte

Mannsperson.

Und in Tellheim witterte

Er schon immer

Ein schamlos verkleidetes

Frauenzimmer.

Damit sich der Zensor

Nun kann überzeugen,

Daß ihnen das richtige

Geschlecht zu eigen,

Ward von beiden um

Die Erlaubnis gebeten,

In ihren Rollen

Nackt aufzutreten.

Ja, sie wollten des kurzsichtigen

Zensors wegen

Sogar ein kleines

Tänzchen einlegen.

Herr von der Heydte

Rast und tobt,

Und beim heiligen Ignatius

Hat er gelobt:

Eher tilg' er die

Literatur von der Erde,

Als daß Minna von Barnhelm

Nackt getanzt werde.

Dies Schandstück, in dem

Die Verliebten verkehren

Mit gänzlich vertauschten

Geschlechtscharakteren.

Verendet an ihm

Auch München, die Kunststadt,

Berlin lacht heiter:

Schadet det uns wat?

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3-15-008578-0
Erschienen im Buch "Gedichte und Lieder"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.